Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
schon manche depressive Phase hinter sich bringen musste, gönnt man ihm ja die gute Stimmung auch von Herzen. Zwar ist die Mehrzahl der schweren von innen kommenden Depressionen monopolar, wie man sagt, kennt also nur die depressiven Stimmungseinbrüche. Doch es gibt eben daneben die bipolaren Patienten, die auch manische Phasen haben. Patienten nur mit manischen und ohne depressive Phasen sind eine außerordentlich seltene Ausnahme. Ein vergleichsweise liberaler Umgangsstil erleichtert nicht nur den Patienten die Therapie, sondern motiviert sie vielleicht sogar, sich beim nächsten Mal früher in Behandlung zu begeben. Dann haben im besten Fall die Patienten ihre Ruhe vor den schrecklich Normalen und die Normalen ihre Ruhe vor den provozierenden Manikern. Denn dass die Normalen bisweilen so besonders aggressiv auf die Maniker reagieren, mag auch daran liegen, dass diese Kranken sich vieles von dem herausnehmen, was sich die Normalen insgeheim gern auch mal getraut hätten, aber natürlich in Wirklichkeit dann doch nie tun. Und die Maniker selbst haben auch nicht viel mit den Normalen im Sinn. Denn sie sind sowieso felsenfest der Überzeugung, dass wir Psychiater in ihrem Fall ganz entschieden die Falschen behandeln - und das einzige Problem, das sind nach Auffassung aller Maniker der Welt natürlich einzig und allein die Normalen.
V Warum wir uns aufs Paradies noch freuen können - Menschliche Variationen
»Variationen seelischen Wesens« nannte die alte deutsche Psychiatrie den Rest der psychischen Auffälligkeiten. Da geht es besonders um Störungen, die man im Laufe des Lebens erworben hat, und um die Persönlichkeiten, die so merkwürdig sind, dass man das schon krank nennen muss, denn sie oder ihre Umgebung leiden unter dieser Auffälligkeit. Bei all diesen Störungen ist vor allem gute Psychotherapie gefragt, wobei die Heilungschancen im engeren Sinn bei den Störungen, die man im Laufe eines Lebens erworben hat, größer sind als bei den extremen Persönlichkeitsauffälligkeiten. Da nämlich kann man psychotherapeutisch oft nur erreichen, dass ein Mensch mit seinen immer schon bestehenden Merkwürdigkeiten besser zurechtkommen kann und die Umgebung auch. Natürlich werden wir uns bei der Darstellung dieser vielfältigen psychischen Störungen nicht in die letzten Verästelungen solcher Auffälligkeiten hinein verirren. Doch soll auch hier alles Wesentliche zur Sprache kommen.
1. Trauma, Angst und Zwang - Gestörte Reaktionen
Jedem Menschen können im Laufe seines Lebens Dinge zustoßen, die zu einer psychischen Störung führen. Der eine ist da etwas empfindlicher, der andere nicht. Doch wenn nur das Ereignis belastend genug ist, dann kann es jeden treffen. Vor allem die deutsche Psychiatrie hatte da ursprünglich eine andere Auffassung. Denn bei ihr galt strikt, dass wirkliche und dauerhafte psychische Erkrankungen letztlich nur durch Schädigung des Organs Gehirn oder von innen heraus, also irgendwie genetisch bedingt, auftreten konnten. So wurde bei KZ-Opfern, die die Torturen überlebt hatten und darunter psychisch erkrankt waren, unterstellt, dass diese ohnehin seelisch so verletzlich gewesen seien, dass sie auch ohne den KZ-Aufenthalt
erkrankt wären. Angesichts solcher Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm, die praktischen Erfahrungen mit KZ-Opfern drastisch widersprach, stellten dann doch die Psychiater selbst ihr eigenes starres System in Frage. Gegen viele Widerstände setzte sich schließlich das Konzept der so genannten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) durch, einer Erkrankung, die einen Menschen nach angstvoll und hilflos erlebten erschütternden Ereignissen, nach Krieg, Folter, Vergewaltigung, Terror, Geiselnahme etc., überfallen kann und deren bisweilen bleibende Folgen sich am Organ Gehirn sogar sichtbar ausprägen können. Die Patienten müssen immer wieder an das Ereignis denken, die Bilder davon überfallen sie unkontrollierbar, sie ziehen sich zurück, sind angespannt, der Schlaf ist gestört, die Gefühle sind wie erstarrt. Natürlich gibt es nicht bloß eine einzige Ursache für diese Störung. Immer spielt auch die seelische Grundausstattung mit hinein. Wir wissen, dass es schützende Faktoren gibt, die eine solche Störung weniger wahrscheinlich machen. Und so ist eine Vielzahl von therapeutischen Maßnahmen hilfreich. Neben spezieller Psychotherapie und Psychopharmakotherapie gibt es auch eine merkwürdige Methode, genannt EMDR (Eye Movement Desensitization and
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