Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Reprocessing). Es hat sich nämlich per Zufall gezeigt, dass schnelle Augenfolgebewegungen zur Besserung vor allem dieser Störung helfen. Da steht dann ein gut ausgebildeter Psychiater vor einem Patienten, bewegt seinen Zeigefinger hin und her, und der Patient folgt dem mit den Augen. Wer eine solche Szene unerklärt von außen sehen würde, dem käme wohl der bekannte Satz in den Sinn, dass wir Psychiater uns von unseren Patienten nur durch den Kittel unterscheiden. Nun fragen Sie mich bitte nicht, warum das so gut wirkt. Sie brauchen auch keinen anderen zu fragen, denn man weiß es schlicht nicht. Da die Psychiatrie, wie die ganze Medizin, aber eine praktische Wissenschaft ist, wenden wir jede nachgewiesenermaßen wirksame Methode an. Und die Wirksamkeit von EMDR ist in vielen Studien belegt.
Inzwischen ist das Pendel freilich ins gegenteilige Extrem ausgeschlagen. Denn neuerdings vermutet man fast hinter
allem und jedem eine posttraumatische Belastungsstörung. Nicht jeder Blechschaden mit dem Auto ist schon ein Trauma und nicht jede Schlafstörung oder unangenehme Erinnerung ist schon ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung. Auch hier sind das Problem dann die Normalen, die mit ihren alltäglichen Beschwernissen mal wieder den wirklich Kranken die Therapieplätze wegnehmen.
Die posttraumatische Belastungsstörung ist wohl die extremste Ausprägung dessen, was einem im Laufe eines Lebens zustoßen kann. Doch es gibt auch mildere Vorfälle mit milderen psychischen Reaktionen. Da ist die sehr vorübergehende »akute Belastungsstörung« nach plötzlichen belastenden Lebensereignissen. Die »Anpassungsstörung« dauert länger und kann insbesondere nach Orts- oder Beziehungsveränderungen oder in der Folge schwerer körperlicher Erkrankungen eintreten. Es ist keine Depression von innen her, wie die oben beschriebene Melancholie, sondern hier stehen die äußeren Umstände als Auslöser ganz im Vordergrund. Antidepressiva wirken hier, wie bei allen leichten Depressionen, kaum.
Die Psychoanalyse hat für psychische Störungen, die im Laufe des Lebens auftreten und die nach ihrer Theorie letztlich auf frühkindlichen ungelösten Konflikten beruhen, den Begriff Neurose geprägt. Da gibt es dann depressive Neurosen, Angstneurosen, Zwangsneurosen und so weiter. Für all diese Störungen, wo im Laufe des Lebens etwas schiefgegangen ist, ist natürlich Psychotherapie die entscheidende Hilfe.
Angst spielt bei nahezu allen psychischen Störungen eine große Rolle. Hier muss freilich streng unterschieden werden. Da ist die existenzielle Angst, die jeder Mensch hat, die Angst vor Leid und Tod, vor der Begrenztheit seiner Existenz. Eine solche Angst ist völlig gesund. Wenn ein Mensch zum Beispiel in einer extremen Manie diese Angst komplett verlieren würde, dann wäre der Verlust dieser Angst außerordentlich gefährlich. Ein solcher Mensch würde in seiner Hochstimmung ohne Weiteres vor ein Auto rennen. Es gibt sie also: die gesunde Angst. Doch
da ist auch jene krankhafte Angst, die einen Menschen immer mehr in ihren Bann schlägt, die mit allen möglichen merkwürdigen Körpergefühlen an ihm heraufkriecht, die entweder ganz allgemein und quälend unbestimmt bleibt oder bestimmte Situationen und Objekte betrifft. Eine solche krankhafte Furcht vor etwas Bestimmtem nennt man eine Phobie. Da gibt es die soziale Phobie, also die Angst, unter Menschen zu gehen, eine Aufzugphobie, eine Tierphobie, eine Scherenphobie und vieles andere mehr. Nicht selten existieren ein auslösendes Ereignis und ein Zeitpunkt, von dem an sich die Symptome entwickelt haben. Es gibt unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten. Neben einer medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva sind es vor allem verhaltenstherapeutische Methoden, die sich bewährt haben. Da fährt dann der Therapeut mit dem Patienten so lange Aufzug, bis die Angst vor dem Aufzugfahren zurückgeht. Angst, panische Angst, charakterisiert die Panikstörung. Eine Panikattacke ist ein elementares Ereignis, das für den Patienten nicht selten mit Todesangst einhergeht. Der Blutdruck geht hoch, das Herz schlägt plötzlich bis zum Hals, Schweißausbruch, Zittern, Unruhe etc. Der Zustand dauert nur jeweils etwa eine halbe Stunde. Auch hier können medikamentöse Therapie und besonders eine kognitive Verhaltenstherapie helfen.
Die Zwangserkrankung ist eine eigenartige Störung. Ich behandelte eine alte Lehrerin, eine rührende, intelligente, sozial engagierte
Weitere Kostenlose Bücher