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Irrfahrt durch die Düsterzone

Irrfahrt durch die Düsterzone

Titel: Irrfahrt durch die Düsterzone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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der Illusionen. Bis zu einem bestimmten Grad vermochte er zu erkennen, wann er ein Trugbild vor sich hatte, und in welchem Fall es sich um eine unveränderliche Wirklichkeit handelte.
    Zahllos waren die gefährlichen Abenteuer, die er überstanden hatte. Sehr oft war er nur mit dem nackten Leben davongekommen. Aber aus jeder Todesgefahr hatte er gelernt. Damals, als Quida ihm noch den einen oder anderen Zauber verkauft hatte, erwarb er einige magische Fähigkeiten, mit deren Hilfe er besser zu überleben vermochte.
    Der Zauber der klaren Sicht war ein solches Hilfsmittel.
    Blendzauber, Lichte-das-Chaos-Zauber und Gewißheit im Mißtrauen – das waren kleine, aber nützliche Hilfsmittel, über die Necron verfügte.
    »Ich wähle«, sagte Necron laut und beruhigte mit der dunklen Stimme die Tiere, die dem Druck der Zügel folgten und den Schrein zwischen den ächzenden und knirschenden Steinriesen hindurchzogen, »die ,Gewißheit im Mißtrauen’. Sie wird mich am weitesten bringen.«
    Eine freiwillig erfolgende Konzentrationsübung verringerte sein Wahrnehmungsvermögen. Es war, als schärfe sich sein Blick im Zentrum auf Kosten all dessen, was an den Rändern an Eindrücken auf ihn hereindrang. So verschwand vor seinem Blick der Nebel. Die Sicht klärte sich. Auch lösten sich vor seinem Auge Gewächse auf, der umgestürzte Baumriese auf dem Weg verschwand, und die letzte Helligkeit zitterte über die kleinen Wellen des Sees. Hinter den Körpern der hin und her huschenden kleinen Tiere zeigte sich ein Stück Seeufer. Necron lenkte seine Pferde dorthin. Wieder änderte sich das Geräusch der Räder. Sie knirschten jetzt über schmutzigen, grauen Sand.
    Noch war es Tag.
    Aber der Nebel und der undurchdringlich düstere Himmel zwischen der Schattenzone und dem Shalladad, dem Reich Hadamurs, änderten sich nicht. Nachts wurden die Nebel und die niedrige Wolkenschicht, der staube graue Schleier, der über dem Land lag, dunkler und finsterer. Necron griff in die Tasche seiner Samtjacke. Als er die Stundenwurzel hervorzog, blieb das harte Holz am Saum der Tasche hängen. Mit einem häßlichen Knirschen riß die Naht auf. Necron fluchte erbittert – die Jacke aus schwarzem Samt war alt, das Gewebe war brüchig und speckig.
    »Woher bekomme ich neuen Samt?« schimpfte er. »Die lebenden Webstühle der Abstrusen sind abgestorben!«
    Graue Pferde für seinen Schrein und Samt für Jacke und Hose – das waren wirkliche Probleme in der Düsterzone.
    Necron stellte sein Fluchen ein, hob die Schultern und starrte auf die Stundenwurzel. Die Kerben auf dem runzeligen Holz, das sich zu einer Spirale eingerollt hatte, stellten ein bestimmtes Zeitmaß dar. Je älter und trockener die Wurzel wurde, desto mehr zog sie sich zur immer enger werdenden Spirale zusammen. Dadurch verschoben sich die kurzen und längeren Kerben gegeneinander. Jetzt deutete die äußerste Kerbe des Spiralendes auf den Raum zwischen zwei kurzen Markierungen.
    »Miesel wird sich, denke ich, wohl verspäten«, sagte er sich und schob die Stundenwurzel in eine andere Tasche. Das Gefährt rumpelte entlang des Ufers. Aus dem Wasser sprangen kleine Fische und tauchten platschend wieder ein, in dem schmalen Streifen des Ufers bewegten sich mit lautem Lärm die unsichtbaren Bewohner der feuchten Zone. Giftige Kröten machten weite Sätze. Insekten rasten hin und her. Eine Wolke von gelb und schwarz gemusterten kleinen Bestien flog senkrecht aus dem Ufergebüsch auf und machte sich daran, die Pferde zu verfolgen.
    Necron hörte das wütende Sirren und Summen. Er riß den Peitschenstiel hoch, bog ihn nach hinten und schlug dann mit beiden Schnüren nach den Insekten. Ein anhaltendes Knattern und Knallen hallte über den See und brach sich an den Stämmen der riesigen Bäume, deren Kronen in der Düsternis verschwanden.
    Die Schnüre zerfetzten, wenn sie trafen, die Flügel und die Körper der Insekten. Mitten in dem Schwarm zuckten die Knoten und Schlingen und zerteilten die Masse der Angreifer. Die Ohren der Pferde zuckten nach hinten, die Schweife stellten sich auf, und die Tiere wurden schneller. Necrons Peitsche pfiff hin und her, und bald darauf summten die letzten Angreifer über seinen Kopf hinweg nach hinten.
    »Wieder einen Schritt weiter!« brummte er und steckte den Stiel der Peitsche wieder in die Tülle neben dem gepolsterten Kutschbock. Auch hier war der schwarze Samt mehr als abgewetzt.
    Ob Miesel wieder mit seinen stinkenden Böcken und dem Schlitten

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