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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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ihnen greift oder zum Schlürfen sich niederbeugt. Auch Sisyphos sah ich, den Ärmsten, der dazu verurteilt ist, einen schweren Marmorblock auf eine steile Berghöh zu wälzen, um ihn knapp vor dem Ziel wieder in die Tiefe stürzen zu sehen und die mühvolle schweißtreibende Arbeit keuchend aufs Neue und so in alle Ewigkeit fort beginnen zu müssen. Mir schauerte vor solch grausamen Peinen, und ich wandte schnell den Blick ab, da erschaute ich den göttlichen Helden Herakles. Er stand, vom Rund der aufgescheuchten, wie Vögel kreischenden Geister umflattert, so finster und ernst wie die Nacht und hielt den Bogen gespannt und den Pfeil zum Abschnellen bereit auf der Sehne; seine Brust deckte der hochberühmte goldene Schild, aus dessen Metall Bären und Eber und grimmig funkelnde Löwen samt Bildern von Kämpfen und Schlachten und Morden getrieben sind. Da wurde ich begierig, auch die berühmten Helden des Altertums zu erblicken, Theseus etwa oder die Argonauten; ich strebte weiter ins Innre des Hadesreiches, da aber nahten sich plötzlich unzählige Geisterscharen mit solch grauenvollem Getös und Gestöhn, dass ich entsetzt zur Oberwelt flüchtete und auch dort nicht innehielt, sondern, die Gefährten mitreißend, aufs Schiff floh, die Seile löste und mit aller Rudergewalt in den Ozean zu stoßen befahl.
An den Sirenen vorüber
    Der Wind war günstig; wir landeten bald wieder auf Kirkes Insel. Dort bestatteten wir eilends den Körper unseres Gefährten Elpenor, damit er im Totenreich seine Ruhe finde. Wir verbrannten seinen Leib und seine Rüstung, überhäuften die Asche mit Erde und Steinen und pflanzten das Ruder, das er zu Lebzeit so wacker geführt, auf das ragende Grab. Dann bewirteten uns die Zauberin und ihre vier Jungfraun mit Fleisch, Gebackenem und rotem Wein. ›Ihr musstet mitten im Leben schon das Totenreich schauen, in das die andern erst an ihrem Ende eingehen‹, sprach Kirke, ›nun erquickt euch und stärkt euch vor der Weiterfahrt, denn große Gefahren sind noch zu bestehen!‹ Wir aßen und tranken, bis die Sonne sich neigte, sodann führte mich Kirke ein letztes Mal zu ihrem Lager, doch ehe ich sie in den Arm schloss, beschrieb mir die Göttin alle Gefahren des künftigen Weges und gab mir Rat, wie ihnen zu begegnen sei. ›Hüte dich vor dem Gesang der Sirenen‹, sprach sie, ›kein Sterblicher hat noch bisher ihrem zaubrischen Lied widerstanden! Wer ihnen aber verfällt, hat zum letzten Mal das Licht der Sonne gesehen.‹ Also sprach die Göttin, und sie sprach: ›Hüte dich vor dem schlürfenden Maul der Charybdis, hüte dich vor den Zähnen der schrecklich bellenden Skylla, vor allem aber hüte dich, in Thrinakia anzulegen, der Insel des Sonnengottes, der mit seinem leuchtenden Wagen die Lüfte durcheilt! Auf Thrinakia weiden seine Herden, ihr wohlgemästetes Fleisch lockt zum Schmaus, doch wehe dem Frevler, der sich an ihnen vergriffe! Er würde gnadenlos von Zeus, dem Himmelskönig, dem Vater des Helios, gerichtet werden!‹
    Am nächsten Morgen stach unser Schiff bei klarem Himmel in die fischdurchwimmelte See. Wir hatten, dank Kirkes Gunst, so guten Wind, dass wir nicht zu rudern brauchten. Die Männer ruhten an Deck, ich aber überlegte, wie ich dem Gesang der Sirenen dennoch lauschen könne. Ich nahm eine Scheibe Wachs, zerschnitt sie, knetete die Stückchen zu weichen Kugeln und hieß meine Gefährten, ihre Ohren damit zu verschmieren, auf dass sie gefeit gegen den Gesang der mörderischen Sirenen seien. Ich allein ließ die Ohren unverschlossen, doch ich befahl, mich mit den festestenSchnüren an den Mastbaum zu binden und, wenn ich bäte, die Fesseln zu lösen, mich nur noch fester anzuketten. Man tat nach meinem Geheiß, da hörte ich schon ein silbernes Hallen; ich bedeutete den Schiffern, trotz des heftigen Winds auch noch die Ruder zu gebrauchen, und so, das graue Meer wie ein Sturmwind furchend, nahten wir uns dem verrufenen Strand.
    Die Sirenen, zwei liebliche Jungfrauen mit Adlerflügeln, lagen auf einer blühenden Wiese, die sich hinter einem Wall von lanzenscharfen Riffen und Klippen erhob. Sie waren nackt und trugen Lorbeer im rötlich gleißenden Haar, und als sie uns erblickten, erhoben sie sich und streckten verlangend die Arme nach uns aus, und zugleich begannen sie einen Lobgesang mit solch süßeverheißender Stimme, dass mir wohlige Schauer durchs Mark liefen und ich nicht mehr Herr meiner Sinne war. Ehe sie ihr Lied begannen, hatte ich Berge modernder Gebeine,

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