Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
Vom Netzwerk:
zertrümmerter Schädel und abgezogener Häute um die beiden zaubrischen Schwestern gehäuft gesehen, und der stickige Hauch der Verwesung war mir in die Nüstern gefahren; nun aber, da ihr Lied ertönte, sah ich weder Knochen noch Klippen und witterte auch nicht mehr die würgende Luft; ich hörte den Gesang der Sirenen, und mein Herz raste, und das Blut brannte in meinen Adern; ich flehte meine Gefährten an, die Fesseln zu lösen, damit ich zu den Jungfrauen schwimmen und in ihren Armen verweilen könne; ich wand mich am Mast und zerrte an den un nachgiebigen Strängen, meine Gefährten aber, die un emp fänglichen, tauben, ruderten mit verdoppelter Eile, und ihrer zwei warfen sich über mich, der ich mich am Mast wand, und schnürten mir noch einen Ledergurt um Schenkel und Brust. So steuerten wir glücklich an dem Verderben vorüber; leiser und leiser wurde der Zauberinnen Lied, und je leiser es wurde, umso ruhiger wurde auch mein Blut, und als der Gesang verhallt war, verstand ich mein Verlangen nicht mehr. Ich bedeutete den Männern, das Wachs aus den Ohren zu nehmen; schließlich wurden auch meine Bande gelöst. Einen Augenblick war es ganz still, dann aber hörten wir ein fernes dumpfes Getön, das rasch lauter wurde, und zugleich sahen wir vorm Horizont zwischen zwei mächtigen Felsblöcken eine Wand aus stäubendem, sprühendem Schaum. Da wusste ich, dass wir uns den schrecklichsten Seeungeheuern, der Skylla und der Charybdis, näherten.
Zwischen Skylla und Charybdis
    Die Gefährten setzten, da sie die Gischtwand zwischen den Felsen gewahrten, mit einem Schlag mit dem Rudern aus. Der Wind trieb uns langsam näher; nun schäumte eine Brandung, und wir sahen das Meer in gewaltigen Fluten hochwallen, als siede es. Die beiden gigantischen Felsen pressten die See zu sammen; zur Linken tat sich ein gähnender Rachen auf, der gurgelnd das Meer in sich ein sog; die Felswand rechts ragte schroff und marmor glatt bis in den Himmel, und hoch in ihrem Gestein drohte unheimlich ein torgroßes Loch. Die Freunde wollten die Ruder zurückstemmen, doch ich wusste von Kirke, dass kein anderer Weg als der zwischen den beiden Ungeheuern möglich war:Wenn wir je nach Ithaka kommen wollten, mussten wir hier hindurch. Also rief ich schnell: ›Mut, Freunde, Mut, wir haben doch schon ganz andre Gefahren gemeistert! Sind wir nicht sogar dem mordgierigen Polyphem entronnen, als ein Entrinnen undenkbar schien?Vorwärts denn, Steuermann, zeig deine Kunst: Halte dich dem schlingenden Maul zur Linken, der meere schlürfenden Charybdis, fern und steure kühn so knapp wie nur möglich am rechten Felsen vorbei, ihr andern aber schlagt mit den Rudern den Gischt und habt Hoffnung: Ein huldreicher Gott wird seinen Kindern schon beistehn!‹ So sprach ich und gab ihnen Mut, der Charybdis zu entrinnen, al lein ich verschwieg, was Kirke mir mitgeteilt, dass nämlich in der torgroßen Höhle die mörderische Skylla hauste, das unverwundbare zwölfbeinige Krakenscheusal, das mit seinen sechs schwarzen, dreifach mit dolchspitzen Zähnen besetzten Köpfen an ihren sechs klafterlangen Hälsen im weiten Umkreis alles Lebendige aus dem Meer zu weiden pflegt:Thunfische, See hunde, Haie, Delphine, am liebsten aber lebende Men schen! Ich wusste, dass sechs meiner Gefährten dran glaubten mussten, wenn ich gebot, knapp am Skyllafelsen vorüberzusteuern, aber wie hätte ich anders entscheiden sollen! Der Charybdis wären wir alle zum Opfer gefallen, und hätten wir das Schwellen der Flut – denn nun spie die Charybdis wieder das Meer aus – nicht ausgenützt, wären die raffenden Mäuler der Skylla wohl zwei- oder dreimal ins Schiff gefahren. So schossen wir denn durch die donnerndenSalzwogen hin; ich stand, in jeder Hand einen Speer, auf dem Vorderdeck, bereit, den Kampf mit der Skylla trotz aller Warnungen Kirkes zu wagen, allein, so scharf ich auch spähte, ich konnte das Untier nicht erblicken. Das Meer wallte nun wie ein Kessel auf flammendem Feuer; der siedende Strudel brauste mit solchem Ungestüm, dass sein Flockenschaum über die Gipfel der Felsen sprühte, und die Wasser wirbelten solcherart wild, dass das Meer sich wie ein Trichter höhlte und wir tief unten am Grund die schwarzen Kiesel liegen sa hen. Voll Todesangst blickten wir in den Abgrund; wir glaubten über unserem Grab zu schweben, und da, in diesem Augenblick, schossen die sechs Hälse der Skylla aus der Höhle, ihre sechs Mäuler packten sechs meiner erprobtesten und tüchtigsten

Weitere Kostenlose Bücher