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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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die unsichtbare Hüterin der Herden, eilends zu Helios auf und brachte ihm die Unheilsbotschaft. Der Gott lohte im Zorn und beschwor Vater Zeus, den Frevel zu rächen; kämen, so drohte er, die Schlächter seines Guts ohne Strafe davon, wolle er ins Totenreich hinabsteigen und fortan den Schatten, nicht aber mehr den Göttern und Menschen leuchten! Da versprach der Vater dem zürnenden Sohn, die frevelnde Rotte bald zu bestrafen, und Helios kehrte zum Sonnenwagen zurück. Dies alles weiß ich von der Nymphe Kalypso, die wiederum die Kunde von Hermes, dem Götterboten, erfahren hat.
    Da ich den Bratenduft roch, eilte ich zu den Ruchlosen und sah entsetzt schon die racheverkündenden Götterzeichen: Die ausgeweideten Häute krochen umher, als wären sie lebendig, und schleiften blutige Spuren in den weißen Sand; das Fleisch an den Spießen brüllte nach Stierart, und die rohen Stücke im Kessel blökten, wie Schafe es tun. Die Freunde aber vernahmen weder Gebrüll, noch sahen sie die Häute wandern; sechs Tage brieten und sotten sie und schwelgten sie im unersättlichen Schmaus, und sechs Tage krochen die Häute einher und brüllte das leblose Fleisch von den Spießen und aus dem Innern der wallenden Kessel. Am siebten Tag legte sich plötzlich der Sturm, und es schwanden die Wolken. Wir stiegen ins Schiff und ruderten kühn ins offene Meer.
Querüber durchs Weltmeer
    Als wir das grüne Gestade Thrinakiens verlassen hatten und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehen war, breitete Zeus über unseren Häuptern eine dunkelblaue Wolke aus. Es war am hellen Mittag, und über dem laufenden Schiff wurde es plötzlich Abend; die Wolke senkte sich, ihr Blau wurde violette Schwärze, und mit einem Male fuhr brausend und mit fürchterlich zuckenden Wirbeln ein Westwind heran. Er stieß mit solcher Wucht das Segel, dass die beiden Taue des Mastbaums rissen, der Mast krachend umbrach und dem Steuermann den Schädel zerschmetterte. Der Ärmste rollte ins Meer, und im gleichen Augenblick zuckte ein Blitzschlag nieder und zerspellte das Schiff. Schwefeldampf wallte über dem kochenden Wasser; Donner erschütterte die Meerflut; meine armen Gefährten versuchten noch, sich wie Seemöwen auf die zertrümmerten Planken zu retten, aber die wilden Wogen rissen sie gnadenlos in die Tiefe hinab. Ich hatte mich an den Mastbaum geklammert, an dem noch die gerissenen Taue hingen, so dass es mir gelang, den Mast an einen vorübertreibenden Teil des Kiels zu binden; mit letzter Kraft schwang ich mich dann auf dies elendeWrack, und also wie auf einem Steckenpferd reitend, trieb ich durch die tobende Flut.
    Schließlich legte sich der Westwind, und die See wurde glatt, doch nun erhob sich ein starker Südwind und trieb mich die ganze Nacht hindurch zum Strudel der wilden Charybdis zurück. Ich fürchtete Skyllas sechs grässliche, die Lüfte durchweidende Häupter und wich ihrem Bannkreis aus, da fasste mich der Charybdis gieriger Schlund, der eben das Meer einschlürfte, und ich wäre verloren gewesen, hätte ich mich nicht an einen Feigenbaum über dem Felsmaul geklammert, an dessen Geäst ich nun hilflos wie eine Fledermaus hing. Ich vermochte weder mit den Füßen Halt zu finden noch höher zu klimmen, und hing also am knackenden Feigenbaumast über der kochenden See und sah meinen Kielbaum im Strudel verschwinden und wartete jeden Augenblick, das heiße Fauchen der zähnestarrenden Mäuler Skyllas zu spüren, und also hing ich, hilflos, an brennenden Händen und schmerzenden Sehnen ein volles Drittel des Tages, da endlich spie die Charybdis das Meer wieder aus und mein Kielbaum erschien. Ich ließ mich niederfallen, um klammerte den Mast und ruderte mit den Händen und konnte mich noch glücklich preisen, dass die schreckliche Skylla in ihrer Höhle geblieben war und mich nicht gewittert hatte.
    Neun Tage trieb ich durchs Meer, in der zehnten Nacht dann führten die Himmlischen mich nach Ogygia, wo Kalypso, die schöngelockte Göttin, wohnte – doch warum soll ich, o König, dies alles noch einmal er zählen?«

III Odysseus
auf Ithaka

Poseidons Zorn
    Die Mitternacht war vorbei, als Odysseus geendet hatte, und obwohl sich nun alles zur Ruhe legte, konnte niemand schlafen, so sehr hatte der wundersame Bericht des Weitgereisten die Herzen bewegt. Als der Tag anbrach, wurden die Gastgeschenke ins Schiff getragen und Odysseus ein zweites Mal zum Festschmaus gebeten; im Hafen dann opferte man erneut den Göttern und flehte um eine

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