Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
und er schaute die geschweiften waldigen Höhen, die sich hinter der Bucht erstreckten, und dann wandte er das Haupt und erblickte über dem Felsen einen uralten Ölbaum und in seinem Wurzelgerank eine Grotte, darin er als Knabe oft den Nymphen geopfert, und da er nach zwanzig Jahren nun sein Heimatland schaute und den Bo den des Vaterlands unter den Füßen spürte, presste er die Stirn auf die heilige Erde, und sein Herz wollte brechen vor ju beln dem Glück. Athene aber richtete ihn auf und hieß ihn zuerst seine Schätze in die Höhle tragen, dass sie in Sicherheit lägen, und nachdem sie dann die Grotte mit einem unlösbaren Stein verriegelt hatte, berichtete sie – und sie setzen sich, Erdensohn und Göttin, ins Wurzelgestrüpp des uralten Ölbaums – vom wüsten Regiment der Freier, vonTelemachs Ausfahrt nach Pylos und Sparta und von Penelopes treuer, ausharrender Hut. »Darum hüllte ich dich in Nebel, Odysseus«, sprach die Göttin, »dass du nicht blind in dein Verderben dich stürztest, denn es wird vieler List und hohen Mutes bedürfen, das Gesindel zu züchtigen und zu vertreiben und dem Land den Frieden zurückzugeben. Zunächst aber will ich dich unkenntlich machen!«
Sie sprach’s und hauchte Odysseus an, und siehe, da schrumpfte sein Leib in Runzeln und Falten und wurde fleckig und braun und von Flechten entstellt; sein Haar fiel vom Haupt, und seine Augen begannen zu triefen und blöde zu blicken; anstatt des kostbaren Gewandes umhüllte ihn ein besudelter Lumpen und ein räudiges Fell als Leibrock und Mantel; in Händen hielt er statt des blitzenden Schwerts einen knorrigen Stecken, und auf dem Rücken trug er einen Ranzen, der an einem geflickten Tragband hing. Allein sein Herz und seine Seele waren unverändert geblieben.
Als Athene ihn so elend und bresthaft sah, nickte sie befriedigt und lächelte. »Niemand wird dich erkennen, Odysseus«, so sprach sie und trug ihm auf, zuerst zum Sauhirt Eumaios zu gehen, der sich als Treuester aller Treuen erwiesen und so innig wie kein andrer von den Göttern die Rückkehr des Königs erfleht habe, doch der nun, nach zwanzig Jahren, auch nicht mehr glaube, dass Odysseus am Leben sei. Sie aber, Athene, wolle nach Sparta eilen und Telemach zur Rückkehr mahnen und auch dafür sorgen, dass die Rotte der Mörder, die in einem schwarzen Segler zwischen Same und Ithaka auf Lauer liege, ihr schmähliches Werk nicht vollbringen könne. Mit diesem Versprechen entschwand sie, und Odysseus machte sich auf den Weg zum Sauhirten Eumaios, und bei jedem Schritt, den er tat, pries er sich glücklich, denn er schritt ja nun über den Boden des Vaterlands.
Odysseus bei Eumaios
Als Odysseus den Bergkamm überquert hatte, sah er die grüne und rote Ebene Ithakas vor sich liegen; er hielt im Schreiten inne und atmete tief und ließ seinen Blick über das Heimatland schweifen, und da gewahrte er Rauch, der aus einer Siedlung inmitten der saftigen Wiesen stieg. Dies wunderte ihn, denn er wusste nichts von diesem Lager; es war erst nach des Königs Abfahrt vom getreuen Eumaios erbaut worden, um den Herden besseren Schutz zu bieten, denn die Insel war von Kriegern entblößt, und Seeräuber streiften umher und machten die Lande unsicher. Steinblock um Steinblock hatte der Hirt drum zum Wall geschichtet und dessen Zinnen mit Ketten scharfer Dornen umflochten, und diese Steinwehr war abermals von einem festen Zaun gespitzter Pfähle umpflockt. Innerhalb des Geheges waren zwölf Koben abgeteilt, in denen je fünfzig Muttersäue sich suhlten; die Eber aber waren im Freien untergebracht. Ihre Zahl war schon auf dreihundertsechzig gesunken, denn die un ersättlichen Frei er verlangten für ihre Gelage Tag um Tag den fettsten und stattlichsten Eber nebst einem Stier und zahlreichen Schafen und Ziegen. Als Odysseus die wehrhafte Stallung schaute, freute er sich über den treuen Eifer seines Hirten, und er beschleunigte seinen Schritt.
Er hatte das Lager noch nicht erreicht, da stürzten ihm vier riesige Hunde entgegen, die Eumaios hielt, um Räuber abzuschrecken. Es waren Bluthunde und abgerichtet, jedem Eindringling an die Kehle zu fahren; sie sprangen nun heulend dem Bettler entgegen und fletschten ein furchtbares Reißzahngebiss. Als Odysseus sie erblickte, begriff er, dass er mit seinem Eichenknüppel sich niemals der Hunde würde erwehren können. Er blieb darum unbeweglich stehen und hoffte die Untiere solcherart zu besänftigen, allein sie hätten ihn dennoch zerfleischt,
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