Irrflug
vorbei und erreichte schließlich die erste Etage. Vorsichtig öffnete er die Tür, die auf den dortigen Flur führte und atmete tief durch, als er sein erstes Ziel erreicht hatte. Er achtete darauf, dass die Tür hinter ihm nicht laut ins Schloss fiel. Nun waren es nur noch wenige Schritte über den Marmor-Fußboden bis zu der Bürotür. Er brauchte kein Licht, weil ihm die Mondhelle, die durch die Glasfront fiel, ausreichend Orientierungshilfe bot.
Wie ein Schatten verschwand er in dem Büro, zog auch da die Tür leise ins Schloss, und wandte sich an einer Seitenwand einer weiteren zu, die er ebenfalls problemlos öffnen konnte. Zielstrebig näherte sich der Schatten der großen Schrankwand, die nur schemenhaft zu erkennen war, entriegelte mit einem Schlüssel eine Holztür und betastete dann den Tresor, der sich dahinter verbarg. Er wusste, welcher der vielen Schlüssel, die er in der Hosentasche hatte, passen würde. Auch dazu brauchte er kein Licht. Sekunden später war der Tresor geöffnet. Der Mann griff hinein und zog einen klobigen Pilotenkoffer heraus. Anschließend ließ er die schwere Klappe des Tresors wieder einrasten und verriegelte die Holztür davor. Dann nahm er den Koffer mit der linken Hand und eilte, auf Zehenspitzen, durch das Vorzimmer auf den Flur hinaus. Dort lauschte er kurz in die Dunkelheit, warf einen prüfenden Blick durch die große Glasfront auf die nachtschwarzen Bäume und hastete, soweit wie möglich von den Fenstern entfernt, zum Notausgang zurück, der in das hintere Treppenhaus führte. Er gelangte abwärts und musste nun wieder die Taschenlampe anknipsen, um sich beim Rückweg zum Keller-Ausgang nirgendwo anzustoßen. Er öffnete die Tür, die er nicht abgeschlossen hatte, und zog sie von außen vorsichtig ins Schloss.
Im Schein der Straßenlampen und des fahlen Mondlichts erkannte er die Umgebung. Er ging zunächst hinter einer Sträuchergruppe in Deckung, huschte dann zum benachbarten Grundstück, stets darauf achtend, keine Trittgeräusche zu verursachen. Von Weitem hörte er einen Nachtvogel schreien und Fahrzeuglärm.
Noch einmal musste er ein Grundstück überqueren, dann würde er wieder sein Auto erreicht haben. Er peilte den Schatten einer Hecke an, den diese pechschwarz auf die Wiese warf. Mit einem schnellen Satz hatte er ihn erreicht. Doch in diesem Moment zerriss eine scharfe Männerstimme die Stille, so laut und eindringlich, dass er erschrak. „Halt, Polizei”, schallte es durch die Häuserzeilen zu ihm herüber. „Stehen bleiben oder ich schieße”
Der Mann im Schatten der Hecke zögerte keinen Augenblick. Ohne auf weitere Deckung zu achten, rannte er los, vorbei an der Giebelseite eines Firmengebäudes, mitten durch ein Heckengestrüpp, jetzt schon den beleuchteten Parkplatz vor sich, auf dem sein Auto stand. Nur noch zehn, zwanzig Meter trennten ihn davon. Doch das Gepäckstück war schwer und hinderlich, viel zu schwer. Er würde es nicht schaffen, es blitzartig zu verstauen und wegzufahren, ehe sein Verfolger auch die freie Fläche erreicht haben würde und ihn ins Visier nehmen konnte. Denn die Stimme kam näher, bedrohlich näher. „Bleiben Sie stehen, Polizei!” Der Flüchtende tastete im Spurt nach seinem Schlüsselbund, erkannte, dass es knapp werden würde und entschied blitzartig, den schweren Pilotenkoffer loszulassen. Noch im Laufen drückte er auf den Schlüsselgriff, worauf sich die Wagentür ferngesteuert entriegelte. Zwei Sekunden später hatte er die Tür erreicht, riss sie auf, warf sich hinters Steuer, steckte zitternd und schwer atmend den Schlüssel ins Zündschloss. Der Motor startete, als draußen ein Warnschuss krachte. Der Flüchtende gab Gas und ließ den BMW mit quietschenden Reifen davonbrausen.
Jetzt hatte der Polizist die freie Parkplatz-Fläche erreicht. Doch mehr als rote Schlusslichter, die zwischen den Bäumen des Gewerbegebiets verschwanden, sah er nicht mehr. Er griff zu seinem Funkgerät und verständigte seinen im Streifenwagen zurückgebliebenen Kollegen. Dann erst sah er, dass der Unbekannte eine große Tasche weggeworfen hatte.
29
Es war bereits kurz vor halb zwölf. In der ›Down-Town‹ Kneipe von Elvira Schneider herrschte an diesem Sommerabend noch Hochbetrieb. Nur draußen durfte, der Nachtruhe wegen, nicht mehr serviert werden. Drinnen aber waren so ziemlich alle Plätze belegt, auch die Barhocker. Die Luft war stickig und rauchig, vor allem aber war es laut. In einer Ecke saßen die Stammgäste
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