Irrflug
schließlich auch achtzehn Mal seine Privatnummer in Göppingen angerufen.”
„Volltreffer”, kommentierte Häberle anerkennend, „und die anderen Nummern?”
„Auch diverse Männer und Frauen, über die wir noch nichts wissen, ein Friseur, eine Kosmetikerin, na ja, jedenfalls nichts, was uns vom Stuhl reißen könnte”.
„Interessant ist aber noch mehr”, mischte sich jetzt der Strohblonde ein und beugte sich nach vorne zu der Liste, die auf dem Tisch lag, „zuletzt hat sie Rottler am Mittwochabend um 18.37 Uhr angerufen.”
Häberle nickte bedächtig.
„Wir haben aber noch ein bisschen mehr”, machte der Strohblonde weiter. Häberle lehnte sich zufrieden zurück und verschränkte seine muskulösen Oberarme. Vor dem Fenster war es jetzt stockdunkel geworden.
„Der Liebermann in Geislingen, der Steuerberater, Sie wissen”, fing der Glatzköpfige an, „der ist wirklich ein lieber Mann. Er hat den Kollegen den Zugang zu den Daten der Pulvermüller verholfen, zu ihrem persönlichen E-Mail-Postfach und soweiter.”
„Lieb von ihm”, meinte Häberle ironisch.
„Ja, und siehe da”, machte der Mann weiter und lächelte triumphierend, „sie hatte einen munteren E-Mail-Verkehr mit, ja, was glauben Sie, mit wem …?”
„Mit Rottler”, traf Häberle ins Schwarze.
„Richtig”, bestätigte der junge Kriminalist, „leider sind nur die E-Mails vom Mittwoch noch da. Offenbar hat sie ihren gesamten Schriftverkehr der Vortage gelöscht.”
„Und was haben die beiden sich geschrieben?” Häberle wurde ungeduldig.
„Nettigkeiten”, stellte der Blondschopf fest, „dass sie sich lieben und es kaum erwarten können …”
„Was kaum erwarten können?”, hakte Häberle nach.
„Tja”, machte der Glatzkopf, „das haben sie uns leider nicht verraten.”
„Na, was schon …”, überlegte Häberle laut, „ihren Abflug natürlich.”
„Der dann mit einem Mord geendet hat, bevor es richtig losging?”, fragte der Glatzköpfige zweifelnd.
Häberle holte tief Luft. Er spürte plötzlich wieder, wie müde er war. Was sollte er auch auf die Frage des jungen Kollegen antworten?
Vor dem Verwaltungsgebäude von ›Steinke Network GmbH & Co. KG‹ im Göppinger Gewerbegebiet Stauferpark hatte eine Streifenwagen-Besatzung Position bezogen – als Amtshilfe für die Steuerfahnder. So lange sie nicht jeden Tresor und jede Schublade durchsucht hatten, musste sichergestellt werden, dass nachts niemand in das Gebäude eindrang und Beweismittel beseitigte.
Das wusste der Mann, der mit seinem schwarzen BMW zwei Seitenstraßen davon entfernt auf den Parkplatz einer anderen Firma eingebogen war. Dort, etwas abseits der Beleuchtung, stellte er den Wagen ab, drückte die Tür sachte ins Schloss und ging seitlich an dem nüchternen Fabrikgebäude vorbei, dessen Fenster schwarz waren. Seine Schritte wurden durch den gepflegten Rasen gedämpft, einige Grillen hörten auf zu zirpen, als er ihnen zu nahe kam. Der Mann, der sich auf diesem Gelände auskannte, überquerte den park-ähnlichen Grünstreifen zum nächsten Firmenkomplex hin-über. Auch in diesem, offenbar nur aus Fertigbetonteilen bestehenden Gebäude, brannte kein Licht. Wieder nahm der Mann zielstrebig den Weg an der linken Seite vorbei, stieg über einige große Kieselsteine, die zur Zierde angeordnet waren, und gelangte im Schutze von hohen Sträuchern zur Rückseite der Software-Firma Steinke. Er bemühte sich, stets in den pechschwarzen Schatten zu bleiben, den Häuser und Gebüsch im Schein des Mondes warfen.
Auf diese Weise erreichte er, unbemerkt von den Polizisten, die vorne im Streifenwagen saßen, die Rückseite des Gebäudes. Dort, das wusste er, gab es eine Art Keller-eingang, über den die technischen Anlagen zu erreichen waren. Er huschte lautlos an der Wand entlang, ging fünf Stufen zur Tür hinab und schloss mit einem Schlüssel auf. Augenblicke später stand er in einem stockdunklen Raum. Er drückte die Stahltür vorsichtig ins Schloss und knipste eine winzige Halogenlampe an, die er erst vor kurzem als Werbegeschenk erhalten hatte.
Er brauchte nicht viel zu sehen. Im spärlichen Licht seiner gerade mal fingergroßen Lampe durchschritt er den Lagerraum, öffnete eine zweite Tür, und erreichte einen langen Flur, der auf eine weitere Tür zuführte. Auch sie ließ sich öffnen. Hinter ihr tat sich ein enges Treppenhaus auf, das normalerweise als Fluchtweg galt. Der Mann stieg hastig nach oben, kam an der Tür zum Erdgeschoss
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