Irrflug
hat das alles mit Ihrem Mord zu tun?”, fragte der Hagere vorsichtig.
„Das Kollege, das bereitet mir noch ziemliche Kopfschmerzen”, gestand Häberle, „das Einzige, was wir einigermaßen sicher wissen, ist die Tatsache, dass die tote Frau wohl die Geliebte dieses Rottler war – obwohl er uns gegenüber Stein und Bein geschworen hat, nicht zu wissen, wer die Tote sei.”
„Und wann schlagen Sie zu?”, wollte der Hagere burschikos wissen.
„Wenn wir den Rottler auftreiben, sofort. Aber der scheint seit gestern Abend spurlos verschwunden zu sein”, stellte Häberle fest.
„Und jetzt hat er erst recht allen Grund dazu”, warf der Brillenträger ein.
„Eines aber scheint klar zu sein”, fuhr der Kommissar nachdenkend fort, „der Rottler und diese Frau wollten vorgestern früh abhauen. Nicht klar ist mir allerdings, ob dies aus Sorge geschehen sollte, dass die Steuerfahnder hinter Rottler her sind, oder um einfach ein neues Leben anzufangen.” Er überlegte und meinte: „Und die Knete in dem doppelwandigen Koffer hätte sicher so etwas wie der Reiseproviant sein sollen.”
„Aber warum schlägt er dann seine Geliebte vor dem Abflug tot?”, warf der Hagere ein.
„Tja”, machte Häberele, „das ist genauso widersinnig, wie sein kurzer Flug aufs Berneck. All diese Ungereimtheiten lassen auch eher den Schluss zu, dass es ganz anders war – also auch nicht Rottler.”
In diesem Moment ertönte Häberles Schreibtisch-Telefon. Er meldete sich knapp, bekam ein ernstes Gesicht und beendete das Gespräch sofort wieder.
„Ein neuer Mord”, sagte er, „droben im Ödewald. Jemand hat einen Mann erschossen.” Er stand auf und bat im Hinausgehen: „Informieren Sie schon mal den Chef, ich fahr’ raus.” Kripo-Leiter Bruhn durfte unter keinen Umständen übergangen werden. Schließlich war der jetzt für solche Fälle zuständig, solange Häberle zur Sonderkommission nach Kirchheim abgeordnet war. Es sei denn, der neuerliche Mord hatte auch etwas mit der Hahnweide zu tun.
Häberle hatte seinen in Geislingen wohnhaften Jung-Kollegen Linkohr anrufen und ihm ausrichten lassen, er solle direkt über die Autobahn nach Kirchheim fahren. Denn er selbst wollte sich zunächst den Tatort im Göppinger Öde-wald anschauen – auch wenn es eher unwahrscheinlich sein würde, dass diese männliche Leiche, die ein Frühsportler gefunden hatte, in einem Zusammenhang mit dem Hahnweide-Fall stand.
Häberle war, wie es ihm seine Kollegen beschrieben hatten, über das Berufsschulzentrum zum Waldrand hinaufgefahren. Einige Schüler standen neugierig am Straßenrand. Oben angekommen, sah er zwei Streifenwagen und zwei weiße Kastenwagen der Kripo. Er parkte seinen Mercedes vor dem rot-weißen Absperrband, das uniformierte Kollegen um den Waldrand gespannt hatten.
Der Kriminalist stieg aus und spürte, dass es wieder ein schwüler Tag werden würde. Die Sonne hatte trotz des flachen Winkels, mit dem sie um diese Zeit auf den Ödewald traf, bereits erhebliche Kraft.
Häberle stieg über das Absperrband und ging auf den Waldrand zu, wo mehrere Polizisten beieinander standen. Sie begrüßten ihn und führten ihn zu dem Weg, der in den noch schattigen Wald hineinführte. Nach etwa dreißig Metern deuteten sie nach links in ein Gebüsch, das ziemlich zertrampelt und zerrupft aussah. Darin lag ein Mann, starr auf dem Bauch. Aus seinem Rücken war Blut gesickert; das blaue Jeanshemd hatte sich rot verfärbt. Häberle trat näher an ihn heran, während ein Kriminalist die Äste der Hecke zur Seite drückte. Der Kopf des Toten, der lange blonde und stark zersauste Haare hatte, war nach links gedreht. Häberle stutzte. Er beugte sich zu ihm hinab und drückte nun selbst die Äste weiter auseinander, um ihn besser erkennen zu kennen. Kein Zweifel, dachte er sich. Kein Zweifel. Er kannte den Mann. Sein Kollege schien dies zu spüren. „Ist was?”, fragte dieser vorsichtig.
„Ich fass’ es nicht”, brachte Häberle hervor und erhob sich schockiert, „ich fass’ es nicht.” Er schüttelte den Kopf.
„Was heißt das, Herr Häberle?”, wollte der andere wissen.
„Ich kenn’ den Knaben”, sagte der Soko-Chef, „er gehört zu meinem Fall von der Hahnweide.”
Häberle sagte den Kollegen in Kirchheim Bescheid und erklärte, dass er vorläufig in Göppingen bleiben werde. Er bat seinen jungen Kollegen Linkohr, so schnell wie möglich zu kommen.
Die Spurensicherung stellte am Tatort ein Projektil des Kalibers sechs
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