Irrflug
einen leeren Stuhl vom Nebentisch heran und setzte sich zu ihren Bekannten. „Vor allem wissen sie noch nicht mal, wer die Tote ist”, stellte sie fest.
„Meinst du, wir müssen sie kennen?”, hakte der offenbar älteste der Männer nach. Er hatte sein dunkles Jackett über die Stuhllehne gehängt und seine Krawatte ebenfalls gelockert.
„Ist doch möglich, oder?”, entgegnete die Wirtin, „drüben auf der Hahnweide ist heut’ jedenfalls der Teufel los.”
„Warst du denn heut’ schon dort?”, fragte die Blondine sichtlich neugierig.
„Ja, hab’ auf halb zwei ’ne Maschine bestellt gehabt. Wollt’ mal wieder Svea treffen. Aber da gab’s heut’ keine Chance. Es wimmelt von Bullen.”
„Und? Was haben die gesagt?”, fragte einer der jüngeren Männer nach, dessen schwarze Haare pomadig oder verschwitzt am Kopf klebten und der einen Schnauzbart trug.
„Natürlich nichts”, berichtete die Wirtin und schlug ihre nackten Beine übereinander, „nur der Hauff hat gesagt, er wisse noch nicht, wann wieder geflogen werden könne.”
„Und auch der hat keine Ahnung, was geschehen ist?”, hakte der junge Mann nach und drehte nervös sein Pilsglas im Kreis.
Die Wirtin zuckte mit den Schultern. „Er war heut’ nicht sonderlich gesprächig. Verständlicherweise. Ich bin auch gleich wieder gegangen.”
„Und Svea?”, fragte die Blondine, die ihr Glas mit Mineralwasser in den Händen hielt.
„Ich hab’ sie sofort auf’m Handy anrufen wollen, war aber schon unterwegs und hat’s natürlich nicht gehört.”
„Dann ist sie vergeblich nach Konstanz geflogen?”, meinte die Blondine.
„Ja, leider. Sie hat mich sofort von dort angerufen. Sie will heut’ noch herkommen.”
Jetzt beugte sich auch ein anderer Mann nach vorne, der bisher den Gesprächen wortlos gefolgt war. Er hatte eine Stirnglatze, graumeliertes blondes Haar und war ohne Krawatte in die Gartenwirtschaft gekommen. Der Mann, der knapp 50 war, machte den Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Er kniff die Augen zusammen. „Wie? Sie kommt her? Hierher?”, staunte er.
Die Wirtin lächelte ihn an: „Wieso nicht? Sind über die Autobahn nur zwei Stunden. Ich schätze, sie wird bald da sein.”
Der Geschäftsmann und die Blondine schauten sich an.
9
August Häberle hatte sich die Adressen jener fünf Personen geben lassen, die in jüngster Zeit möglicherweise mit einem fremden Passagier auf der Hahnweide waren. Sein Kollege Mike Linkohr hatte ihm außerdem vorgeschlagen, jenen Olaf Rottler mit in die Liste aufzunehmen, der die gestohlene Maschine am Vorabend zuletzt geflogen hatte. Weil dieser in Göppingen wohnhaft war, in Häberles ›Heimatrevier‹ sozusagen, hatten die beiden Kriminalisten beschlossen, dort mit den Ermittlungen zu beginnen. So konnte Häberle vielleicht auch mal kurz bei seiner Frau vorbeischauen und sie schonend darauf vorbereiten, dass es mit dem freien Wochenende nun wohl nichts werden würde.
Es war jetzt kurz nach fünf, doch noch immer brannte die Sonne gnadenlos auf die Landschaft im Vorfeld der Schwäbischen Alb. Häberle steuerte den weißen Mercedes aus Kirchheim hinaus in Richtung Göppingen.
„Sie haben jetzt auch einen Daimler gekriegt”, stellte Linkohr auf dem Beifahrersitz fest.
„Ja, seit die Autos geleast sind, gibt’s nur noch Daimler”, erwiderte Häberle, „obwohl mir mein alter Audi ausgereicht hätte.”
Sie fuhren auf der B 297 ostwärts, die Sonne jetzt im Rücken. Vor ihnen lag das weite Gebiet des Schlierbacher Waldes, vor vielen Jahren Schauplatz eines bis heute ziemlich mysteriösen Mordes an einem Jungen, dachte Häberle. Damals war er noch ein junger Kriminalist gewesen, aber genauso engagiert, wie dieser Linkohr neben ihm.
„Was glauben Sie, was hinter der Sache auf der Hahnweide steckt?”, fragte der sympathische junge Kollege, als sie die kurvenreiche Strecke durch den Wald erreicht hatten.
Häberle presste zunächst die Lippen zusammen, wie er das immer tat, wenn er scharf überlegte. „Um ehrlich zu sein, ich find’ auch keinen Reim drauf. Irgendwie macht das alles keinen Sinn. Aber ich bin sicher, wenn wir wissen, wer die Frau ist, dann dröseln wir das Ding von hinten auf.”
Linkohr dachte nach. „Wahrscheinlich irgendeine Liebesgeschichte. Vielleicht wollten sie irgendwo hin verschwinden, haben Streit gekriegt und dann hat er ihr eine über den Schädel geschlagen.”
„So sieht’s auf den ersten Blick aus”, bestätigte Häberle,
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