Irrflug
Kollegen freudig begrüßt. Viele von ihnen kannten ihn persönlich, anderen war er noch aus seiner Zeit als erfolgreicher Ermittler beim Landeskriminalamt ein Begriff. Häberle lächelte, schüttelte Hände und brachte damit zum Ausdruck, dass er ein Mann des Volkes geblieben war. Einer, der sich nie mit Ellbogen nach vorne gedrängt hatte. Einer, der den jüngsten Wachtmeister genauso akzeptierte, wie die altgedienten Beamten. Und einer, der den ewig Besserwissenden mit den vielen Sternen am Revers auch mal in aller Deutlichkeit sagen konnte, was er von ihnen und ihren bürokratischen Anweisungen hielt. Häberles Stärke war, dass er von den Ganoven ob seiner Leibesfülle meist falsch eingeschätzt wurde. Doch hinter dem freundlich lächelnden Gemütsmenschen verbarg sich ein Sportler, der – wenn’s drauf ankam – einen erstaunlichen Spurt hinlegen konnte. Dass er ein sehr erfolgreicher Judosportler war und jetzt noch immer die jungen Judokas trainierte, das kam ihm schon in mancher brenzligen Situation zugute. Häberle war keiner, der gleich zur Waffe griff. Oft genug reichte die Kraft seiner voluminösen Oberarme, um Gegner im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie zu zwingen.
Kirchheims Kripo-Chef Deutschländer, der zwar mit seiner Körpergröße den Häberle aus Göppingen weit überragte, hatte da eher Mühe, ein Handgemenge für sich zu gewinnen. „Herr Kollege Häberle, wie schön, Sie hier zu sehen”, sagte Deutschländer, der den Vorschlag der Esslinger Direktion, die „Sonderkommission Hahnweide”, angesichts der landesweiten Bedeutung des Falles von Häberle leiten zu lassen, sofort akzeptiert hatte. Allein schon die Tatsache, den berühmten Kriminalisten im Hause zu haben, war eine Ehre.
Irgendwie hatte es Häberle sogar dank seiner Kontakte zur Landespolizeidirektion Stuttgart I auf die Schnelle geschafft, den jungen, jedoch äußerst motivierten Kollegen Mike Linkohr aus Geislingen mit in die Sonderkommission integrieren zu dürfen. Schließlich hatten sie beide im vorigen Jahr bereits bestens zusammengearbeitet.
Häberle stellte den jungen Kollegen vor und frotzelte, dieser habe gewiss das Zeug, einmal beim Landeskriminalamt in seine früheren Spuren zu treten.
Beim Blick in den großen Raum zeigte sich Häberle dann zufrieden darüber, dass die technischen Voraussetzungen für die Arbeit einer Sonderkommission bereits geschaffen waren. Er zog sich mit seinem Kirchheimer Kollegen Deutschländer in ein Büro zurück, um sich über die bisherigen Ermittlungen informieren zu lassen.
Als sie sich an einem kleinen weißen Schreibtisch gegenüber saßen, kam Deutschländer gleich zur Sache: „Wir wissen jetzt, dass die gestohlene Maschine tatsächlich auf dem direkten Weg zum Berneck hoch geflogen sein muss.” Er blickte auf die Notizen, die er sich gemacht hatte, und fuhr fort: „Die Maschine wurde noch vor dem letzten Flug gestern Abend voll betankt und dann nur zwölf Minuten geflogen. Und jetzt ist der Tank noch immer so gut wie voll.”
Häberle lehnte sich zurück und sah, dass an der Wand hinter Deutschländer ein großformatiges Luftbild hing, das aus niedriger Höhe die Burg Teck zeigte. Der Göppinger Kriminalist hörte aufmerksam zu und fragte nach: „Und Spuren? Hat man rund ums Flugzeug irgendetwas Brauchbares entdeckt?”
„Nein”, schüttelte Deutschländer den Kopf und schaltete einen winzigen Ventilator ein, der keine Chance gegen die Hitze haben würde, „nichts. Wir haben aber eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei angefordert. Sie soll das Gelände weiträumig durchsuchen. Gleiches haben wir heut’ auch schon drüben auf der Hahnweide gemacht.”
„Und wer die tote Frau ist, dazu gibt’s auch noch keine Erkenntnisse?”, fragte Häberle weiter.
Deutschländer schüttelte abermals den Kopf. „Nicht die geringsten. Auch keine Vermisstenmeldung, weder bei uns, noch in den angrenzenden Landkreisen.”
„Na ja”, zuckte Häberle mit seinen kräftigen Schultern, die in einem kurzärmeligen Hemd steckten, das irgendwie aus den Nähten zu platzen drohte, „falls sie allein gelebt hat, wird das eine Zeit lang dauern, bis man sie vermisst …”
„Weil vieles darauf hindeutet, dass sich der Täter auf dem Fluggelände ausgekannt haben muss, haben wir uns die Namen der dort registrierten Sportflieger geben lassen”, fuhr Deutschländer fort und erläuterte die Gepflogenheiten, wie sie auf der Hahnweide und dort insbesondere bei der Motorflugschule bestanden.
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