Irrflug
Häberle runzelte die Stirn, als er hörte, wie viele Personen überprüft werden mussten. Ein überaus kniffliger Fall, dachte er sich. Wo kein Motiv erkennbar war, tat man sich verdammt schwer. Doch gerade darin sah er wieder einmal eine Herausforderung.
„Wir machen einen Medien-Aufruf”, entschied er, „wir veröffentlichen die Beschreibung der Toten und wollen wissen, ob jemand heut’ in aller Herrgottsfrühe im Bereich der Hahnweide verdächtige Personen gesehen hat. Gleiches gilt natürlich auch fürs Berneck. Von dort muss der Täter ja schließlich weggekommen sein, nachdem er gelandet ist.”
Der Kollege stimmte nickend zu. Er war insgeheim froh darüber, dass Häberle den Fall übernahm. Dieser erfahrene Kriminalist hatte nicht nur eine geradezu phänomenale Kombinationsgabe, sondern auch das entsprechende Gespür im Umgang mit den Medien, deren Interesse an dem Verbrechen von Stunde zu Stunde stieg. In den letzten Rundfunk-Nachrichten hatte er mit gewisser Sorge gehört, dass nun allen Ernstes offenbar Verbindungen zu Terror-Anschlägen der jüngsten Zeit konstruiert wurden. Seit dem 11. September 2001 war alles, was mit Luftfahrt zusammenhing, noch viel sensibler als jemals zuvor. Mit so einem spektakulären Fall konnte man sich zwar einerseits profilieren, andererseits aber auch ganz schön in die Nesseln setzen und sich die Zukunft verbauen. Da war es ihm lieber, die nötigen Sporen in der Provinz zu verdienen. Außerdem hatte er den Job als Außenstellen-Leiter erst vor einem Jahr angetreten.
Häberle war hingegen eher dafür geschaffen, sich mit ›den Oberen‹ anzulegen, auch mal unkonventionell vorzugehen. Er erklärte, er werde sich mit seinem jungen Mitarbeiter Linkohr persönlich um den Kreis jener Personen kümmern, von denen dieser Motorflugschul-Chef glaubte, sie in jüngster Zeit öfters in Begleitung einer fremden Frau gesehen zu haben. Das war aber alles ziemlich vage, wie Häberle befürchtete. Auf einem Flugplatz wie der Hahnweide trafen sich an schönen Tagen Dutzende von Fliegern mit ihren Passagieren.
„Noch was”, sagte Deutschländer, als Häberle bereits aufgestanden war, um in den Raum der Sonderkommission hinüberzugehen, „ich weiß ja nicht, ob es von Belang ist. Wir haben auch mal prüfen lassen, wer die gestohlene Maschine am Vorabend zuletzt geflogen hat.” Er blätterte in einem Wust von Papieren, „es ist ein guter Kunde des Charter-Betriebs, ein gewisser Rottler, Olaf mit Vornamen, wohnt bei Ihnen drüben in Göppingen.”
Häberle drehte sich an der Tür um und überlegte. „Der kann ja wohl kaum etwas dafür, wenn nachts die Maschine geklaut wird. Aber geben Sie mir die Adresse mal her”, sagte Häberle und ließ sich von seinem Kollegen den Notizzettel reichen.
Die Hitze lag unerträglich in den schmalen Gassen der Stadt Göppingen. Obwohl es inzwischen schon später Nachmittag war und der Wetterdienst für den Abend heftige Gewitter angekündigt hatte, trübte kein Wölkchen den strahlend blauen Himmel. Jetzt, nach Büroschluss, suchten die ersten Krawatten-Träger in den Gartenwirtschaften Zuflucht. Elvira Schneider, eine hochgewachsene überaus schlanke Frau, knapp über 50, dunkelblonde Haare, kannte nahezu alle Gäste, die um diese Zeit in ihre ›Down-Town‹ Kneipe kamen. Viele von ihnen, meist Männer, tranken hier, bevor sie zu Bus oder Bahn gingen, ein Pils oder – was an heißen Tagen besonders beliebt war – ein Hefeweizen. Die paar Gartentische, die die Wirtin in einem schmalen Stück Hof zwischen ihrem Lokal und dem Nachbarhaus hatte aufstellen können, waren rasch besetzt. Dafür herrschte im modernen Innenraum gähnende Leere.
Elvira Schneider, deren jugendliches Outfit heute mit Hotpants und einer besonders engen Bluse noch unterstrichen wurde, blieb an einem der Tische stehen, an dem mehrere Personen Platz genommen hatten. „Wir hatten schon befürchtet, das auf der Hahnweide könntest du gewesen sein …” , sagte ein Mann mittleren Alters, der den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet und die Krawatte gelöst hatte.
Elvira Schneiders Gesicht wurde plötzlich ernst. „Eine schreckliche Sache. Ausgerechnet vergangene Nacht. Unglaublich. Habt ihr’s in den Nachrichten gehört?”
Die vier Männer und die beiden Frauen, alle zwischen 30 und knapp 50, nickten. „Das hört sich alles entsetzlich an”, sagte eine Frau mit auffallend blondem, kurzem Haar, „wer stiehlt schon nachts ein Flugzeug?”
Die Wirtin zog sich
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