Irrflug
später tauchte links das Straßenschild auf, das er suchte. Linkohr nannte die Hausnummer. Häberle ließ den Mercedes langsam durch die schmale Wohnstraße rollen, an der auf beiden Seiten altehrwürdige Häuser standen, die im Schein der Straßenlampen nur schemenhaft zu erkennen waren. Die großen Bäume dazwischen bogen sich im Sturm. Der Regen hatte eher noch zugenommen.
„Hier”, sagte Linkohr und deutete auf ein kleines Einfamilienhaus auf der linken Seite. Im Erdgeschoss brannte Licht. Vor dem umzäunten Garten stand ein orangefarbener VW-Kombi mit der Aufschrift ›Elektro-Service Mosbrucker‹, davor ein alter weißer Kleinwagen, ein Fiat Cinquecento.
Die beiden Kriminalisten parkten auf der gegenüberliegenden Seite, sprangen aus ihrem Wagen und rannten über einen schmalen Gartenweg zum Hauseingang, den ein winziges Vordach schützte. Wieder zuckten Blitze, krachten Donner. Das Gewitter schien am nordwestlichen Rand der Schwäbischen Alb festzusitzen. Jetzt war auch die deutliche Abkühlung zu spüren. Das musste ein gewaltiger Temperatursturz gewesen sein, dachte Häberle, als er den Klingelknopf betätigte. Der Bewohner hatte sie erwartet und war deshalb gleich an der Tür. „Hallo, kommen Sie rein”, sagte Günter Mosbrucker, der in halblangen Shorts, einem verknitterten, bunten kurzärmligen Hemd und Turnschuhen vor ihnen stand. Die beiden Kriminalisten betraten das Treppenhaus, dessen holzgetäfelte Wände mit Luftbildern geschmückt waren, dazwischen auch Fotos vom Start eines amerikanischen Spaceshuttles.
Der Mann, dessen ziemlich langes blondes Haar zersaust war, dürfte etwa 40 Jahre alt sein, schätzte Häberle. Er bat sie ins Wohnzimmer, auf dessen marmornem Couchtisch die traurigen Überreste eines zerlegten Videorecorders lagen. Die beiden Kriminalisten nahmen drumherum in abgegriffenen Ledersesseln Platz, während sich Mosbrucker auf die Couch setzte. „Entschuldigen Sie, hier sieht’s ziemlich unordentlich aus”, sagte der Elektriker, der ungewöhnlich harte Gesichtszüge hatte, „aber ich bin Junggeselle.”
„Lassen Sie nur, wir stören uns daran nicht”, sagte Häberle und stellte sich und seinen Kollegen vor. Dabei fiel sein Blick auf die mit Büchern und Geräten aller Art überladene Schrankwand. Dort waren mehrere Videorecorder gestapelt, offensichtlich nicht mehr die neuesten Typen, dazwischen Lautsprecher und allerlei Apparate, von denen Häberle nicht hätte sagen könnten, worum es sich dabei handelte. Alles schien kreuz und quer mit Kabeln verbunden zu sein. Der Teppichboden, so stellte Häberle fest, wäre auch längst erneuerungsbedürftig gewesen.
„Wir haben Ihnen am Telefon bereits angedeutet, was unser Anliegen ist”, begann er schließlich, „es geht um die schreckliche Sache heut’ früh auf der Hahnweide drüben.”
„Ich hab’ es den ganzen Tag über im Radio verfolgt, ja”, sagte Mosbrucker und musterte die Kriminalisten.
„Wir haben noch immer keine Ahnung, wer die tote Frau ist. Deshalb bleibt uns nur, alle Piloten der Hahnweide zu fragen, ob sie sich vorstellen können, wer sie ist.”
Mosbrucker nickte und wirkte irgendwie in sich zusammengesunken. Er starrte auf die Einzelteile des Video-
recorders, die vor ihnen auf dem Tisch lagen. „Die Personenbeschreibung wurde im Radio genannt”, griff er die Frage Häberles auf, „da macht man sich in der Tat so seine Gedanken.”
Die beiden Kriminalisten lauschten aufmerksam und ließen ihr Gegenüber nicht aus den Augen.
„Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?”, hakte Linkohr nach.
„Ich bin mir nicht sicher”, Mosbrucker machte eine Pause, „sonst hätt’ ich Sie doch längst schon angerufen. Wissen Sie, ich will niemand in etwas hineinziehen. Als Geschäftsmann muss ich vorsichtig sein, gerade in heutiger Zeit. Jeder Auftrag, der mir flöten geht, ist, um ehrlich zu sein, eine Katastrophe.”
Häberle setzte wieder seinen väterlichen Blick auf. „Seien Sie unbesorgt, von uns erfährt niemand etwas. Wir brauchen nur Hinweise. Alles andere wird von uns dezent und diskret überprüft.”
„Als Sie vorhin angerufen haben”, redete Mosbrucker langsam weiter, „da ist mir klar geworden, dass ich’s Ihnen sagen muss.”
„Und?” versuchte Linkohr die Gesprächsbereitschaft anzukurbeln.
Mosbrucker zögerte noch einen Moment, dann sagte er: „Es könnte die Heidrun Pulvermüller aus Wiesensteig sein.”
Die beiden Kriminalisten holten tief Luft. Zum ersten Mal an diesem
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