Irrflug
Kriminalisten an. Erst am Ortseingang sagte Häberle wieder: „Hier in Bezgenriet gibt’s so etwas wie eine Rarität. Ein Privatflugplätzle. Mitten in der Landschaft, idyllisch, wie man sich die Fliegerei wohl in Amerika und in Australien vorstellen muss. Schon mal was vom Fritz Ulmer gehört?”
Linkohr zuckte mit den Achseln.
„Ein Flugzeugfan, wie’s wohl keinen Zweiten gibt. Hat Oldtimer gesammelt, ein ganzes Leben lang. Segelflugzeuge, Motorflugzeuge. Wollte da draußen ein Museum bauen und ist auf den erbitterten Widerstand von Naturschützern gestoßen. Sie glauben nicht, mit welch fadenscheinigen Argumenten die das damals verhindert haben. Obwohl der Ulmers Fritz nichts anderes wollte, als die wertvollen Stücke einigermaßen stilgerecht zu präsentieren, haben sie ihm vorgeworfen, er wolle eine Art Vergnügungspark errichten. ›Mit Geisterbahn‹ und so, hatten die Gegner behauptet – das ist mir aus einem Zeitungsbericht von damals noch in Erinnerung.”
Wieder zuckte ein Blitz, krachte ein Donner. Sie hatten das kleine Bezgenriet bereits verlassen.”
„Und was ist draus geworden?”, wollte Linkohr wissen.
„Nichts. Ulmer war verbittert, hat vieles verkauft, an andere Museen, ich glaub’ auch ins Technische nach Sinsheim – und den Rest hat er in seiner Flugzeughalle da draußen zerlegt und reingepfercht gelagert. Bis vor zwei, drei Jahren ein paar Taugenichtse aus purer Langeweile die Halle angezündet haben und die Träume vom Oldtimer-Fliegen in Schutt und Asche gesunken sind.”
„Tragisch”, meinte Linkohr.
„Ja, absolut. Für Göppingen wär’ es eine große Chance gewesen, eine Besonderheit bieten zu können. Aber”, er kniff die Augen zusammen, weil er den Eindruck hatte, in ein schwarzes Loch zu fahren, „aber die Göppinger haben’s mit dem Fliegen ohnehin nicht.”
„Wie meinen Sie das?”
„Na ja, obwohl sie Ende der zwanziger Jahre einen wahren Luftfahrt-Pionier in ihren Reihen hatten, den Eugen Kopp, der einen Flugplatz geschaffen und Zubringerflüge zu den großen Flughäfen der damaligen Zeit machen wollte, haben sie in jüngster Zeit ohne Not den Flugplatz aufgegeben, den ihnen die Amerikaner hinterlassen haben. Eine asphaltierte Piste im Filstal. Haben Sie’s schon gesehen?”
„Ja, vom Polizeihubschrauber aus mal, ja.”
Häberle brachte zum Ausdruck, dass er manche kommunalpolitische Entscheidung nicht nachvollziehen konnte: „Wer gibt heute ohne Not einen Flugplatz auf? Schon gar in einer Gegend, die immer wehklagt, sie sei so furchtbar strukturschwach und habe keine vernünftige Anbindung ans überörtliche Verkehrsnetz. Eine Messe haben sie drauf bauen wollen. Utopische Pläne eines wortgewaltigen Baubürgermeisters, der inzwischen längst im Ruhestand ist. Ich frag’ Sie: Wer interessiert sich in Göppingen für eine Messe, wenn ein paar Kilometer weiter auf den Fildern, am Stuttgarter Flughafen, eine gigantomanische geplant wird?”
„Und den Flugplatz, den wollte keiner mehr?”
Häberle schüttelte den Kopf, während der Innenraum des Mercedes wieder von einem Blitz erhellt wurde. „Nein. Das wurde schon Mitte der Neunzigerjahre entschieden. Auch, weil die Anwohner Zeter und Mordio geschrie’n haben. Dabei haben die allesamt da oben gebaut, als es den Flugplatz längst gab.”
„Und was ist jetzt aus dem Flugplatz geworden?”
„Nichts. Derzeit wird, glaub’ ich, da oben Golf gespielt.”
„Die Flieger haben scheinbar wirklich eine schlechte Lobby”, stellte Linkohr fest, als sie Boll erreicht hatten. Ihr Ziel war jedoch der Teilort ›Bad Boll‹, wo es neben dem Thermalbad und dem Kurhaus auch einige Privathäuser gab. Dazu mussten sie jenen Ortsbereich, den sie auf der Durchgangsstraße erreicht hatten, wieder verlassen und noch etwa einen Kilometer bis zu einer Abzweigung fahren. Dort bog Häberle links in Richtung Eckwälden ab. Ganz nah vor ihnen, das sahen sie bei jedem zuckenden Blitz, erhob sich jetzt die Schwäbische Alb.
„Meinen Sie, der Brand in der Flugzeughalle des Oldtimer-Sammlers war gegen die ganze Fliegerszene gerichtet?”, fragte Linkohr plötzlich.
„Nein”, stellte der Ältere fest, „dazu gab es keine Hinweise. Das waren nur schlichtweg dumme Jungs, die da gezündelt haben. Ich glaub’, die waren sich gar nicht bewusst, was in der Halle war. Die sah auch nach außen eher wie eine Feldscheune aus.”
Häberle bog erneut links ab – dorthin, wo die Wegweiser zum Thermalbad zeigten.
Augenblicke
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