Irrflug
ist, müssen wir so schnell wie möglich rauskriegen, mit wem sie befreundet war, wo sie gearbeitet hat – kurzum, ihr gesamtes persönliches Umfeld.”
„Ich bin auch davon überzeugt, dass wir dann ziemlich schnell wissen, mit wem sie heut’ früh fliegen wollte”, bekräftigte Linkohr, „und dann werden wir auch erfahren, was dieser kurze Luftsprung aufs Berneck eigentlich sollte.”
Sie erreichten die Ausfahrt Mühlhausen, vor der das Tempo auf 80 km/h beschränkt ist – wegen des dann folgenden Albaufstiegs in Richtung Ulm, der viel zu steil und viel zu eng ist.
„Klar, wir werden uns das Umfeld anschau’n. Vielleicht gibt’s ja Angehörige oder Wohnungsnachbarn”, meinte Häberle.
„Um diese Zeit …?”, zweifelnd deutete der Kollege auf die Uhr im Armaturenbrett.
„In diesem Fall scheu’n wir uns nicht, auch ein paar Leute aus dem Schlaf zu klingeln, oder?” Häberle lächelte. Er verließ die Autobahn und ließ den Mercedes jetzt auf die Landstraße rollen, die in weitem Bogen an Mühlhausen vorbei führte. Schon nach wenigen hundert Metern setzte Häberle den Blinker nach rechts in Richtung Wiesensteig. Das ›Goißatäle‹, wie der Volksmund das obere Filstal in diesem Bereich titulierte, zog sich an der Schwäbischen Alb entlang – bis hin zum Ursprung der Fils, der sich zwei Kilometer hinter dem idyllischen Städtchen Wiesensteig befindet. Hier, wo die umliegenden Hänge steil sind, gab es sogar eine Skischanze. Im Sommerhalbjahr wurde das Skigelände seit einigen Jahren von Gleitschirmfliegern als beliebter Startplatz genutzt. Das hatte Häberle erst kürzlich in der ›Geislinger Zeitung‹ gelesen, nachdem dort sogar ein 90-Jähriger zum wiederholten Mal durch die Lüfte gesegelt war.
Das Ziel der Kriminalisten war jedoch nicht dieses Seitental, sondern jenes, aus dem die junge Fils hervorkam. Dort, in der Helfensteinstraße, befand sich das Haus von Heidrun Pulvermüller. Häberle fuhr auf der schmalen Ortsdurchfahrt an den herausgeputzten kleinen Fachwerkhäusern vorbei, bis er am Ende des kleinen Städtchens der Beschilderung zum Filsursprung folgte.
Auf diese Weise gelangte er in das gesuchte Wohngebiet, das sich in dem engen Seitental weiter westwärts zog. Der Regen hatte aufgehört, doch ließen tiefe Pfützen an den Straßenrändern darauf schließen, dass es auch hier wolkenbruchartig geschüttet haben musste.
Linkohr zählte die Hausnummern mit, die in der Dunkelheit nicht an jedem Gebäude zu erkennen waren. „Da vorne muss es sein”, sagte er schließlich und deutete auf ein am rechten Hang stehendes kleines Einfamilienhaus, vor dem einige junge Birken wuchsen. In der Hofeinfahrt parkte ein älterer, weißer VW-Polo. „Doch jemand da”, meinte Linkohr zweifelnd, als der Kommissar den Mercedes eine Hauslänge davon entfernt stoppte. Sie stiegen aus und erkannten, dass nur hinter wenigen Fenstern in der Nachbarschaft noch Licht brannte. In dem Einfamilienhaus, das sie gesucht hatten, war jedoch alles dunkel. Sie durchschritten den kleinen Vorgarten, der pflegeleicht mit Bodendeckern bepflanzt war, und gingen zur hölzernen Haustür, der Wind und Wetter offenbar heftig zugesetzt hatte. Häberle erkannte im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung, dass sie richtig waren. ›H. Pulvermüller‹ stand am Klingelknopf. Er drückte ihn. Irgendwo im Innern ertönte ein ziemlich lauter Gong.
Die beiden Kriminalisten schauten an der Gebäudefassade hoch, die längst wieder einen Anstrich nötig gehabt hätte, wie man selbst bei dieser schlechten Beleuchtung erkennen konnte. Nichts rührte sich. Häberle drückte abermals den Knopf.
„Da wohnt auch sonst keiner im Haus”, stellte Linkohr mit gedämpfter Stimme fest. „Offenbar Single”, fügte er hinzu.
„Sieht ganz so aus”, bestätigte Häberle und drückte noch weitere Male auf den Klingelknopf.
„Lassen wir aufbrechen?”, fragte sein Kollege.
Häberle überlegte kurz und holte tief Luft. „Da brauch’ ich zuerst den Staatsanwalt. Nein, das machen wir morgen früh. Wenn wir jetzt mit der ganzen Mannschaft anrücken, gibt das ein wahnsinniges Aufsehen. Vorläufig können wir davon ausgehen, dass wir richtig sind.”
Die beiden Kriminalisten zuckten zusammen. Etwas hatte die Stille zerrissen. Nicht sehr laut und auch nur kurz. Ein Schlag, als sei im Haus eine Tür zugefallen. Ein kurzes, dumpfes Rumsen. Die beiden Männer schauten sich ungläubig an und verharrten. „Was ist’n das?”, flüsterte Linkohr
Weitere Kostenlose Bücher