Irrflug
teure Kunststoffgläser mit sündhaft teurem Titan-Gestell, dachte sich Häberle.
„Wir haben zwar noch nicht die letzte Bestätigung”, begann der Kommissar das Gespräch, „aber bei allem, was wir wissen, handelt es sich tatsächlich um Ihre Mitarbeiterin.”
Liebermann, der eine dezent grau-weiß-gestreifte Krawatte und ein langärmliges weißes Hemd trug, das unter den Achseln feuchte Schweißflecken aufwies, schüttelte ungläubig den Kopf. „Eine so lebensfrohe Frau”, sagte er.
„Wir sollten ein paar Dinge über sie wissen”, kam Häberle zur Sache.
„Bitte, kein Problem”, erwiderte Liebermann höflich und zuvorkommend.
Häberle fasste zusammen: „Frau Pulvermüller war allein stehend, hat nur eine Schwester, die aber in Tuttlingen lebt, und auch sonst offenbar keine sozialen Bindungen – zumindest ist uns bis jetzt nichts bekannt geworden.”
Liebermann spielte mit einem Füllfederhalter. „Um ehrlich zu sein, ich weiß auch recht wenig von ihr. Sie arbeitet seit sieben Jahren hier. Da ist in all dieser Zeit auch kein Freund in Erscheinung getreten. Entsprechenden Anrufe auch nicht. Das können Ihnen meine beiden anderen Damen bestätigen, die mit ihr eng zusammengearbeitet haben. Wir haben uns vor der Mittagspause noch drüber unterhalten.”
„Nie ein Anruf?”, fragte Linkohr ungläubig.
„Nein, offenbar nicht. Zumindest nicht diese Liebschaften, wenn Sie wissen, was ich meine. Wenn die Damen stundenlang flöten …”
„Aber es gibt ja heutzutage die still und heimliche Art der Konversation – per E-Mail”, warf Häberle ein.
„Natürlich”, erwiderte der Steuerberater, „klar. Da kann man unbemerkt zwischendurch ganze Liebesbriefe übermitteln.” Er lächelte und fügte hinzu: „Doch eigentlich ganz praktisch, finden Sie nicht auch?”
Häberle ging nicht darauf ein „Wo hat die Frau Pulvermüller denn vorher gearbeitet?”
„Dass Sie mich dies fragen würden, hab’ ich gedacht. Deshalb hab’ ich mich vorhin in der Personalakte schlau gemacht”, Liebermann griff zu einem Schrank, der hinter ihm stand, und brachte einen Schnellhefter zum Vorschein. Er blätterte darin und fand rasch, was er gesucht hatte: „In Göppingen war sie, bei meinem Kollegen Schindlbek. Den gibt’s aber nicht mehr. Hat damals aufgegeben und ist inzwischen verstorben.”
„Dann hatte sie also Beziehungen zu Göppingen”, meinte Linkohr.
„Na ja, das ist ja nichts Außergewöhnliches, „stellte Liebermann fest, „wenn man in Wiesensteig aufgewachsen ist, wie sie. Da ist man schneller in Göppingen als in Geislingen.”
„Oder in Kirchheim, über die Autobahn”, warf Häberle ein und fuhr fort: „Frau Pulvermüller war Sekretärin, hatte also mit steuerberatender Tätigkeit nichts zu tun?”
Liebermann schüttelte den Kopf und legte die Personalakte wieder zurück. „So ist es. Sie hat die Korrespondenz erledigt oder, was auch mal vorkam, bei den Kunden irgendwelche Akten abgeholt.”
„Sie hatte also auch direkten Kontakt zu den Kunden?”, hakte Linkohr nach.
„Ja, wenn Sie so wollen, ja. Aber, wie gesagt, das beschränkte sich auf Kuriertätigkeiten, ja, so könnte man das nennen. Einblick in firmeninterne Finanzsachen hatte sie nicht, falls Sie dies meinen.”
Häberle nickte verständnisvoll. „Und Kontakt zu anderen Steuerberatern?”
Der Mann überlegte. „Beruflich sicher nicht. Ob sie natürlich Kolleginnen kannte, die bei anderen Steuerberatern arbeiten, entzieht sich meiner Kenntnis.”
„Sie hat am Mittwoch gearbeitet?”, fragte Häberle weiter.
„Ja, ganz normal”, bestätigte Liebermann und faltete seine Hände auf der Tischplatte zusammen.
„Nichts, was ungewöhnlich gewesen wäre?”, wollte Linkohr wissen.
„Gar nichts, nein”, bestätigte der Steuerberater.
„Eine Bitte”, sagte Häberle, „unsere Experten müssen sich in den persönlichen Dingen der Frau Pulvermüller umsehen. Nur dies kann uns weiterbringen. Wir dürfen doch ihren Schreibtisch und ihre E-Mails durchsehen?” Er wollte zum Ausdruck bringen, dass er dies auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers hätte durchsetzen können. Liebermann zeigte Verständnis und der Kommissar war zufrieden. „Wir schicken nachher ein paar Kollegen her”, sagte er, „es wäre gut, wenn Sie ihnen beim E-Mail-Programm behilflich wären. Uns interessieren die geschäftlichen Inhalte nicht – nur, was privat sein könnte.” Der Steuerberater versprach die erforderliche
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