Irrflug
Unterstützung.
„Abschließend nur noch eine Frage”, sagte Häberle eher beiläufig, „Sie kennen doch sicher einige Ihrer Kollegen?”
Liebermann stutzte. „Ja, selbstverständlich.”
„Auch außerhalb, ich mein’ im Ländle?”
Der Steuerberater überlegte, worauf der Kriminalist wohl hinaus wollte. „Natürlich, man trifft sich ja bei Seminaren und Kongressen. Das ist nichts Außergewöhnliches.”
„Sagt Ihnen der Name Heinemann etwas? Svea Heinemann aus Rothenburg ob der Tauber?”
Liebermann verengte die Augenbrauen. Es sah so aus, als gebe er sich ernsthaft Mühe, über diese Frage nachzudenken. „Heinemann?”, wiederholte er. Häberle sagte nichts, sondern nickte.
„Nein, nie gehört”, erwiderte der Mann schließlich mit fester Stimme. Die beiden Kriminalisten bedankten sich und gingen.
17
Günter Mosbrucker, der selbstständige Elektro-Meister hatte den ganzen Vormittag über im Neubau eines Einfamilienhäuschens in Aichelberg gearbeitet. Seinem Lehrling hatte er freigegeben, so dass er heute allein Schlitze klopfen und Strippen ziehen musste. Vom künftigen Wohnzimmer des Gebäudes aus ging der Blick weit ins Alb-Vorland hinaus. Er sah das Asphaltband der sechsspurig ausgebauten Autobahn im Sonnenlicht strahlen, links am Steilhang der Alb die Burg Teck, ganz in der Ferne konnte er den Flugplatz Hahnweide erahnen. Während seiner Arbeit hatte er heute Vormittag ständig an das Verbrechen denken müssen, aber auch an den Besuch der beiden Kriminalisten. Es war ihm unangenehm, in diese Sache verwickelt zu werden. Allein schon die Fragen, die man ihm gestellt hatte, verhießen nichts Gutes.
Im Laufe der Nacht hatte Mosbrucker einen Entschluss gefasst. Weil er ein Mann der allergrößten Vorsicht war, weil er niemandem traute und jegliches Risiko auszuschalten versuchte, war er an eine Telefonzelle gegangen, die er auf dem Weg zu seiner Baustelle gefunden hatte. Er hatte eine Nummer gewählt und erklärt, dass er nicht mehr bereit sei, länger zu warten. Und dass er sich zur Mittagszeit noch einmal melden werde.
Mosbrucker, mit blauem Arbeitsanzug bekleidet, war deshalb jetzt wieder zu dieser Telefonzelle gefahren. Sein Herz pochte schneller, als er erneut die Nummer wählte. „Ich bin’s wieder”, sagte er knapp, „hast du dir’s überlegt?” Er lauschte auf die Antwort, worauf er leise, als ob jemand zuhören könnte, unmissverständlich erklärte: „Ich will heute eine Entscheidung. Ich kann nicht mehr warten.” Wieder hörte er der Stimme im Hörer zu. Lange, viel zu lange, ließ sie ihn nicht zu Wort kommen. Dann endlich schien er die Chance wieder ergreifen zu können: „Das ist mir alles scheißegal, verstehst du?”, zischte er gefährlich, „scheißegal. Ich sag’ nur eins: Die Bullen waren auch schon bei mir.” Mosbrucker kniff die Augen zusammen, als er die Antwort hörte. Ein Redeschwall ging über ihn nieder. Es dauerte zwei, drei Minuten, bis er wieder zu Wort kam: „So war das natürlich nicht gemeint”, schwächte er ab, „ich wollte nur sagen, wie brenzlig alles ist und dass ich nicht mehr länger warten kann.” Wieder trat eine Pause ein, während der er zwei ältere Damen beobachtete, die mit ihren Einkaufstaschen an der Telefonzelle vorbeigingen.
Dann hakte er wieder eine Spur schärfer nach: „Und? Was schlägst du also vor?” Er lauschte der Antwort und nickte schließlich eifrig mit dem Kopf, als ob diese Geste durchs Telefon hindurch zu sehen sein wäre.
„Okay”, zeigte er sich zufrieden, „halb elf, natürlich pünktlich, ich werde da sein und bring’ die Unterlagen mit. Danke.” Er holte tief Luft und hängte den Hörer ein.
Sein Blutdruck war gestiegen, das spürte er deutlich. Und seine linke Hand, mit der er den Hörer gehalten hatte, war schweißnass und eiskalt.
Er verließ die Telefonzelle, stieg in seinen VW-Bus und fuhr wieder durch die Gemeinde Aichelberg zu seiner Baustelle hinauf. Er verspürte keinen Hunger mehr, ließ deshalb sein Vesper, das er sich morgens in einer Metzgerei gekauft hatte, auf dem Beifahrersitz liegen. Stattdessen griff er zu einem bläulichen Kuvert, das er frühmorgens aus seinem Briefkasten genommen und ungeöffnet aufs Armaturenbrett geworfen hatte. Der Inhalt würde ihm großen Kummer bereiten, das wusste er. Nun riss er das Kuvert auf und zog den länglichen Kontoauszug heraus. Sein Blick fiel auf die lange Reihe der Abbuchungen, die er lediglich überflog. Wichtig war für ihn nur die
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