Irrflug
verfing, das seitlich durch den Wald hereinblitzte.
„Auch Deutschland gehört zu einem gewissen Teil dazu”, räumte Rottler ein, „da hat doch so ein Sesselfurzer, wie dein Mann immer sagt, ein weites Betätigungsfeld.”
„Und das kann alles gefährlich werden? Ich mein’, bis hin, dass jemand eingesperrt wird?” Der Gedanke daran, ihr geliebter Olaf müsste in einer kleinen Zelle schmoren, unerreichbar für sie, versetzte ihr einen Schock.
„So schlimm wird’s nicht kommen”, beruhigte er sie, „außerdem”, er lächelte, „ist ja dein Mann der Boss. Er ist Geschäftsführer und Inhaber, Vorstandsvorsitzender. Ihn allein werden sie zuerst packen, wenn sie etwas finden.”
Die Frau lächelte. „Er im Gefängnis”, überlegte sie, „und ich bräuchte keine Story mehr zu erfinden.”
Rottler erwiderte nichts. Er setzte den Blinker nach links und bog zum Wanderparkplatz am beschaulichen Linsenholz-See ab. Dort stand ein weiterer Pkw – ein weißer Polo älteren Datums. „Kennen wir nicht”, stellte Rottler beim Blick aufs Kennzeichen fest.
Die beiden stiegen aus und gingen Händchen haltend an der Schranke vorbei, die den Parkplatz zum Forstweg begrenzte. Er führte sanft zu dem See hinab, der vor 30 Jahren aufgestaut wurde und heute, umgeben von hohem Baumbestand, so aussah, als sei er schon immer da gewesen. Von ihm aus zog sich die Senke in der Hügellandschaft in Richtung Hohenstaufen hinauf.
Sie gingen ein paar Schritte schweigend nebeneinander her.
„Dir geht es heut’ nicht gut”, stellte die Frau fest, die ein paar Schritte vorauseilte, um sich dann ihm provozierend in den Weg zu stellen. Ihr Röckchen schwang um ihre Schenkel. Rottler lachte gezwungen. „Du siehst super aus”, sagte er.
„ Nur für dich”, erwiderte sie und fiel ihm um den Hals.
Er nahm sie fest in seine Arme, um ein paar Sekunden tief Luft zu holen und zu sagen: „Ich muss ein paar Dinge mit dir bereden.”
Sie ließ ihn erschrocken los. „Ich dachte, wir wollten einen schönen Mittag miteinander verbringen.”
„Nichts wär’ mir lieber als das”, entgegnete Rottler und wischte sich mit dem linken Handrücken den Schweiß von der Stirn, „aber wir müssen ein paar Dinge klären.”
Er sah die vor ihnen liegende See-Oberfläche im Sonnenlicht glitzern, als sei sie mit Diamanten übersäht. Es roch nach dem Harz frisch geschlagener Fichten. Grillen zirpten, Vögel zwitscherten. Kein Mensch war zu sehen.
„Du machst mir Angst”, sagte die Frau und fasste nach seiner rechten Hand.
Er wiegte den Kopf hin und her. „Dazu besteht kein Grund, aber du sollst eines bedenken: Die Lage ist ernst. Verdammt ernst.”
Häberle und Linkohr hatten mühsam Süßen, Gingen und Kuchen hinter sich gelassen und rollten mit dem Mercedes nun auf Geislingen zu. Vor ihnen lag die markante Albkante, hier mit der Burgruine Helfenstein, dem mittelalterlichen Ödenturm und jenem hoch aufragenden Kreuz, das zum Gedenken der vertriebenen Südmährer errichtet worden war, denen Geislingen seit 50 Jahren Patenstadt war. Ab Ende Juli, das hatte Häberle in der Zeitung gelesen, würde es nun sogar beleuchtet sein und bis in die Nacht hinein über der Stadt erstrahlen.
Der Steuerberater, den sie suchten, hatte sein Büro in einer Seitenstraße ganz in der Nähe der weltberühmten Besteckfabrik WMF, unweit des Polizeireviers. Linkohr kannte sich dort aus und wies seinem Chef den Weg.
Sie fanden auch sofort einen Parkplatz. Mit wenigen Schritten hatten sie die gläserne Eingangstür des einfachen Stadthauses erreicht. Sie ließ sich zur Überraschung Häberles sofort öffnen, so dass sie gleich in einem großen Vorraum standen, der mit zwei Schreibtischen ausgestattet war, an denen jedoch niemand saß. Die Computer waren angeschaltet, die Mitarbeiter aber vermutlich in die Mittagspause gegangen.
Aus einem der hinteren Räume kam ein Mann, der schon kurz vor der Pensionsgrenze sein dürfte, schätzte Häberle.
Er ging auf die Kriminalisten zu und stellte sich als ›Liebermann, Franz Liebermann‹ vor. Dann bat er seine Besucher nach hinten in einen Besprechungsraum, an dessen Wänden einige Ölgemälde hingen, die auf den ersten Blick kein Motiv erkennen ließen. Der Tisch war oval und eichen, die Stühle drumherum angenehm gepolstert und mit Armlehnen.
„Ich kann es noch immer nicht fassen”, begann der Steuerberater, dessen fülliges Haar sich schneeweiß verfärbt hatte. Er trug eine randlose Brille, vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher