Irrliebe
Schwarz?«, gab Pierre die Frage zurück. »Es ist das Wesen des Menschen, welche zu machen«, beantwortete er sich selbst seltsam ergeben. »Antje und ich haben auf alles geachtet. Wir haben es auch geschafft, unser Verhältnis geheim zu halten. Niemand in Dominiques Büro ahnte davon. Wir sind uns dort nach außen so nüchtern und fremd begegnet wie früher. Alles war perfekt – bis zur Absendung dieses Briefes. Dass der Einwurf in Bochum ein Fehler sein könnte, kam uns auch im Nachhinein nicht in den Sinn. Antje wohnt in Bochum. Sie wollte, dass der Brief schon am nächsten Tag bei Kult-Mund einging, weil er ja von dort aus einen weiteren Tag benötigte, um Franziska zuzugehen. Das Verhältnis zu Franziska spannte sich in dieser Zeit bereits sehr, weil ich ihr wachsendes Verlangen nicht erfüllte. Also kam es auf jeden Tag an. Antje kam erst am Abend dazu, den Brief einzuwerfen. Sie fuhr direkt zum Bochumer Hauptpostamt, weil sie wusste, dass die anderen Briefkästen im Stadtgebiet so spät abends nicht mehr geleert wurden. Antje fand sogar den Gedanken reizvoll, den Brief nicht in Dortmund, sondern in Bochum einzuwerfen, weil wir auch eine Spur nach Bochum gelegt hatten. Ich habe über Wochen abends immer einige Kneipen im Bochumer Bermuda-Dreieck aufgesucht, damit auch meine dortige Anwesenheit bezeugt werden konnte. Wir kalkulierten nicht ein, dass man in der Kult-Mund-Redaktion den Briefumschlag näher betrachtete. Zuschriften auf Chiffreanzeigen werden dort doch alltäglich sein.«
Er verzog die Mundwinkel, und Marie schien wieder, als hielte sich sein Bedauern über den fatalen Fehler in Grenzen. Marie erklärte ihm, warum Franziska den Brief nie erhalten hatte.
Pierre lächelte maliziös.
»Sehen Sie, da sitzt so ein verrückter Typ in der Redaktion, den Sie nicht auf dem Schirm haben. Und der macht alles kaputt …«
»Und der zweite Brief, also der vom 19. Oktober?«, fragte Marie.
Pierre Brossard hob fragend die Augenbrauen.
»Derjenige, in dem Sie Franziska auffordern, sich von Ihnen zu trennen«, erläuterte sie. »Offensichtlich so etwas wie der Prolog des wenige Tage später folgenden Verbrechens. Man sollte annehmen, dass sich Franziska an Sie heftete. Das sollte das nachfolgende Geschehen erklärlich machen.«
»Hat er das nicht?«, fragte Pierre arrogant zurück.
»Der Brief selbst wurde nie gefunden, nur der Ausdruck von ihm, der wie der andere keine Fingerabdrücke trug.«
»Aber ich habe ihn abgeschickt«, beharrte er. »Er muss Franziska zugegangen sein.«
»Franziska wird ihn weggeworfen haben«, vermutete Marie. »Vielleicht war sie Ihnen schon fremder, als Sie glauben«, fügte sie mit höhnischem Unterton an.
»Es war höchste Zeit damals«, erklärte er kalt. »Franziska wurde immer nerviger – und das Wetteramt hatte anhaltende schlechte Witterung mit Starkregen und Sturm vorausgesagt.«
»Die Szene auf dem Bahnhof«, gab Marie als Stichwort vor.
»Die Szene auf dem Bahnhof«, wiederholte Pierre und schien in Gedanken den geeigneten Einstieg zu suchen.
»Wir waren mehrfach zusammen auf dem Bahnhof«, sagte er schließlich. »Ich bin zwei- oder dreimal mit dem Zug nach Kurl gefahren, um sie vor dem Krankenhaus zu treffen. Das war immer dann der Fall, wenn ich nicht mit dem Fahrrad dorthin fahren wollte, weil ich keine Lust hatte oder es regnete. Dann habe ich sie an einer etwas verdeckten Stelle in der Nähe des Krankenhauses getroffen und bin mit ihr zum Bahnhof gegangen. Wir haben geredet, mittlerweile häufiger gestritten und ich bin mit ihr mit dem Zug zurückgefahren. – Es ist bemerkenswert, dass sich der Lokführer an die Coladose erinnert«, unterbrach er sich selbst. »Ich dachte, so etwas passiert ständig und wird kaum noch wahrgenommen. Aber es war eine nette Idee. Es kam ein Zug, der recht langsam fuhr, und ich entschloss mich spontan, eine leere Dose, die auf dem Bahnsteig lag, vor dem Zug in das Gleis zu treten.«
»Das war geschickt«, urteilte Marie und erteilte das erwartete Lob. »Diese Szene bildet zusammen mit dem lauten Streit in dem Zug, den Sie danach mit Franziska ausgetragen haben, eine runde Geschichte.«
Pierre erwiderte nichts. Er wusste, dass Marie im Bilde war.
»Ein paar Tage später wurde Franziska ermordet«, setzte Marie wieder an, doch Pierre überging sie.
»Ich hinterließ meinen Abschiedsbrief an Dominique und unterzeichnete ihn, indem ich meine Unterschrift etwas verfremdete. Ansonsten war der Brief, wie alle anderen, auf
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