Irrliebe
besucht, wenn sie allein gewohnt hätte.«
»Wegen der Spuren, ich weiß«, nickte Marie.
»Wir haben uns insgesamt vier- oder fünfmal in der Nähe des Krankenhauses getroffen, wenn sie Dienstschluss hatte«, fuhr Pierre fort. »Ich habe die Treffen vorgegeben, wie immer. Mein Äußeres hatte ich ein bisschen verändert, wie stets, wenn ich mich mit Franziska in der Öffentlichkeit zeigte. Mal mit Brille, mal ohne Brille. Trug ich keine, log ich Franziska vor, Kontaktlinsen zu benutzen. Die Haare kämmte ich stets streng nach hinten, was ich sonst nicht tue. Ich musste mir ja ähnlich sein, durfte aber nicht ich selbst sein. Das Problem war, dass Franziska mich immer massiver bedrängte. Sie verzehrte sich nach mir. Ich hatte im Grunde erreicht, was ich wollte. Sie war gefügig, ließ sich dirigieren und dressieren wie ein Köter, aber je mehr ich Franziska in dieser Hinsicht bediente, desto mehr forderte sie auch meine Herrschaft ein. Auf Dauer kann so etwas nicht gut gehen. Also gab es immer wieder diese kurzen Treffen in der Nähe des Krankenhauses. Ganz in der Nähe zweigt dort ein Weg von der Hauptstraße ab, der in die dahinter liegenden weiten Felder führt. Dort sind wir dann ein bisschen spazieren gegangen, und ich habe ihren Wunsch bedient, dass sie mir dienen wollte.« Er lächelte süffisant.
»Haben Sie jemals mit Franziska geschlafen?«, fragte Marie.
»Ich habe es immer in Aussicht gestellt«, antwortete Pierre großherzig. »Wenn man ein Verlangen zu schnell stillt, ist es entzaubert. Ich hatte mit ihr verbalen Sex, wenn Sie so wollen, und bediente mich dabei, wie in meinem ersten Brief an Franziska, mit dem ich auf ihre Anzeige antwortete, des Vokabulars und jener Bilder, die Franziska demütigten und sie zugleich in den Himmel hoben. An der Mosel wollte sie Sex, das wusste ich. Also habe ich sie an dem Samstagabend im Moselgold so betrunken gemacht, dass sie dazu nicht mehr in der Lage war. Franziska war einfach zu lenken. Schlüsselworte reichten, um Stimmungen und Wünsche zu erzeugen. Selbst so banale Lügen wie der Fund der Kult-Mund-Ausgabe im Teeladen, in dem ich angeblich einen Samowar kaufen wollte, verfingen sich bei ihr. Sofort schloss sie aus solch albernen Äußerlichkeiten auf mein vermeintliches Wesen. Samowar – das klingt nach Entspannung und Traumseligkeit in Teestubenzeiten. – Was für ein Quatsch! Franziska fand es auch romantisch, im Zelt zu schlafen. Mich nervte das. Aber ich wollte das Zelt, um keine Spuren zu hinterlassen. Nach dem Wochenende an der Mosel habe ich das Zelt mitgenommen. Ich habe ihr gesagt, dass wir noch mal zelten werden, weil es ja in dieser Nacht nicht mit uns geklappt hatte. Sie wissen schon … Man konnte mit wenigen Worten Franziskas Wünsche bedienen. Das Zelt habe ich dann weggeworfen. – Franziska zu steuern war wirklich einfacher als ein Auto zu fahren. Das Problem war natürlich, dass ich Franziskas von mir provozierten Wünsche, insbesondere ihre sexuellen, nicht erfüllen wollte. Über kurz oder lang musste so was zum Bruch führen.«
»Der ja auch gewünscht war«, vollendete Marie.
Pierre schnaufte.
»Sie kennen meine Briefe an Franziska. Alles, was darin steht, entspricht im Wesentlichen den Tatsachen. Ich habe den ersten Brief an dem Tag geschrieben, als Dominique die Franzosen zu Gast hatte, zwei Ausdrucke gemacht, einen in meine Unterlagen gesteckt und den zweiten in einen Fensterumschlag gesteckt, um ihn Franziska zuzusenden. Selbstverständlich habe ich Fingerabdrücke vermieden.«
»Der Brief vom 15. Oktober an Franziska ist nicht in einen gesonderten weiteren Umschlag gesteckt worden, weil er in der Redaktion von Kult-Mund gelesen werden sollte«, konzentrierte sich Marie auf das Wesentliche. »Es ging darum, dass auch die Redaktion von Kult-Mund später bezeugen sollte, dass die Beziehung zu Franziska gespannt war.«
»Ja, ich habe den Brief in einem unbeobachteten Augenblick Antje zugesteckt«, fuhr er fort. »Wir waren ja den ganzen weiteren Tag zusammen, um den Rahmen für Dominiques gewaltige Präsentation vor den Herren der französischen Bahn zu bilden. Antje hat sich an diesem Abend gegen elf verabschiedet. Sie ist auf dem Weg nach Hause an einem Briefkasten vorbeigefahren und hat den Brief eingeworfen.«
»Am nächsten Tag ging er in der Redaktion von Kult-Mund ein«, sagte Marie. »Warum wurde der Brief in Bochum eingeworfen? Das war der entscheidende Fehler, Herr Brossard!«
»Warum passieren Fehler, Frau
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