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Irrsinn

Irrsinn

Titel: Irrsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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aus dem Spender, um mehrere Lagen Papier um die Hand zu wickeln.
    Er trat auf die Veranda. Dort hielt er den Atem an und lauschte – nicht auf den Mörder, sondern auf näherkommende Sirenen.
    Nach einer Weile kam er zu dem Schluss, dass es diesmal keinen Notruf gegeben hatte. Da der Irre offenbar mächtig stolz darauf war, wie clever er seine Darbietung gestaltete, würde er einen Trick nicht wiederholen.
    Billy ging in den Flur zurück. Dort sah er das Foto, das der Mörder ihm ins Gesicht geworfen hatte. Er hatte es ganz vergessen, doch nun hob er es auf.
    Eine junge, rothaarige Frau, die in die Kamera blickte, pan i sche Angst in den Augen.
    Ihr Lächeln war bestimmt sehr hübsch gewesen.
    Billy hatte sie noch nie gesehen. Das war egal. Sie war jema n des Tochter. Irgendwo gab es Menschen, die sie geliebt hatten.
    Leg die Schlampe um.
    Als diese Worte durch seinen Kopf hallten, wäre Billy fast auf die Knie gesunken.
    Zwanzig Jahre lang hatte er seine Emotionen nicht nur gez ü gelt, sondern teilweise auch geleugnet. Er hatte sich nur Gefühle erlaubt, die ihm ungefährlich vorgekommen waren.
    Wut zum Beispiel hatte er sich nur in gemäßigter Form e r laubt, und Hassgefühlen hatte er sich überhaupt nicht hingegeben. Er hatte Angst davor gehabt, schon durch den kleinsten Tropfen Hass eine Springflut auszulösen, die ihn zerstören konnte.
    Sich angesichts des Bösen zu zügeln, war jedoch keine T u gend, und diesen mordlüsternen Irren zu hassen, war keine Sünde. Es war eine rechtschaffene Leidenschaft, heftiger als Abscheu und heller als der Schmerz, der ihn vorher scheinbar fast zum Leuchten gebracht hatte.
    Billy hob den Revolver auf. Er überließ Cottle im Wohnzi m mer sich selbst und stieg die Treppe hinauf. Dabei fragte er sich, ob er den Toten bei der Rückkehr noch immer auf dem Sofa vorfinden würde.
     

54

    Im Medizinschränkchen von Lannys Badezimmer fand Billy Alkohol, eine ungeöffnete Packung Flüssigpflaster und eine ganze Reihe Arzneifläschchen mit Verschlusskappen, auf denen jeweils ACHTUNG: NICHT KINDERSICHER! stand.
    Da der Nagel wahrscheinlich sauber gewesen war, ging von ihm selbst wohl keine Infektionsgefahr aus. Er konnte allerdings Bakterien von der Hautoberfläche in die Wunde getragen haben.
    Billy goss ein wenig Alkohol in seine hohle linke Hand, um ihn in die Wunde sickern zu lassen. Nach einem Augenblick begann es zu stechen.
    Weil er darauf geachtet hatte, die Hand nicht mehr zu bewegen als nötig, hatte die Blutung schon fast aufgehört. Auch der Alkohol regte sie nicht wieder an.
    Eine fachgerechte Sterilisation war das nicht, doch er hatte weder die Zeit noch die Mittel, um mehr zu tun.
    Auf die Eintritts- und die Austrittswunde pinselte er Flüssi g pflaster. Es würde dazu beitragen, dass kein Schmutz hineingelangte.
    Wichtiger noch war, dass die Substanz, die nach dem Troc k nen zu einer flexiblen, gummiartigen Schicht wurde, weitere Blutungen verhinderte.
    Die vielen Arzneifläschchen enthielten jeweils nur wenige Tabletten oder Kapseln. Offenbar war Lanny ein schlechter Patient gewesen, der ein verschriebenes Medikament nie wie vorgesehen aufbrauchte, sondern immer eine Reserve zurückb e hielt, um sich später selbst zu behandeln.
    Billy fand zwei Fläschchen mit demselben verschreibung s pflichtigen Antibiotikum, jeweils Tabletten zu fünfhundert Milligramm. Das eine Fläschchen enthielt drei davon, das andere fünf.
    Er schüttete beide Fläschchen zusammen, dann löste er das Etikett ab und warf es in den Abfalleimer.
    Eine Entzündung wäre eine mittlere Katastrophe gewesen. Wenn die Hand anschwoll und steif wurde, dann war er bei der Konfrontation, die wahrscheinlich auf ihn zukam, im Nachteil.
    Ein Schmerzmittel befand sich ebenfalls im Schränkchen. Gegen einen entzündlichen Vorgang an sich war es zwar wirkungslos, konnte jedoch dessen Folgen lindern. Vier Table t ten waren übrig, die er zu dem Antibiotikum schüttete.
    Im Gleichtakt mit Billys Puls pochte der Schmerz in seiner verwundeten Hand. Als er noch einmal das Foto der rothaarigen jungen Frau betrachtete, schwoll ein weiterer Schmerz in ihm an, der nicht körperliche, sondern emotionale Ursachen hatte.
    Schmerz ist eine Gabe. Ohne ihn würde die Menschheit weder Furcht noch Mitleid kennen. Ohne Schmerz gäbe es keine Demut, und jeder Mensch wäre ein Ungeheuer. Nehmen wir bei anderen Schmerz und Furcht wahr, so entsteht in uns Mitgefühl, und in unserem Mitgefühl liegen unsere Menschlichkeit und

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