Irrsinn
sie darstellte, konnte er nicht erkennen. Er schüttelte den Kopf, um sich davon zu befreien.
Das Foto glitt auf seine Brust. Einen Moment lang dachte er, der Irre würde es dort festnageln.
Nein. Die Nagelpistole in den Händen, ging der Mann mit der Skimaske durch den Flur zur Küche. Ein gut gezielter Nagel. Sein Werk hier war getan.
Billy musste sich ein Bild von ihm machen und es im G e dächtnis verankern. Die Körpergröße, das ungefähre Gewicht. Breite Schultern oder nicht? Schmale oder breite Hüften? Irgendetwas Auffälliges in der Art und Weise, wie er sich bewegte – tat er das geschmeidig oder nicht?
Schmerz, Angst, Schlieren vor den Augen, vor allem jedoch der extreme Blickwinkel dadurch, dass Billy flach auf dem Rücken lag, sabotierten den Versuch, in den wenigen Sekunden, die der Mörder im Blick war, seine physischen Merkmale zu bestimmen.
Dann war der Mann in der Küche verschwunden. Dort ging er herum und machte Lärm. Suchte nach irgendetwas. Tat irgen d etwas.
Billy sah ein mattes, stählernes Glänzen auf dem dunklen Holzboden des Flurs – der Revolver. Die Waffe lag so weit hinter ihm, dass sie sich außer Reichweite befand.
Als Billy draußen an der Schädelstätte gewesen war, um Lanny dem Vulkanschlot zu übergeben, hatte er seine Fähigkeit, Grauen zu empfinden, bereits erschöpft. Jedenfalls hatte er das gedacht, bis ihm klar wurde, dass er den Nagel untersuchen musste, um festzustellen, wie fest ihn dieser am Boden fixierte. Es graute ihn davor, seine Hand zu bewegen.
Die Schmerzen waren konstant, aber erträglich und nicht so schlimm, wie vorstellbar gewesen wäre. Wenn er jedoch die Hand bewegte, um den Nagel zu lockern, dann war das wah r scheinlich so, wie mit einem vereiterten Zahn ein Sahnebonbon zu kauen.
Es graute ihn nicht nur davor, die Hand zu bewegen, sondern auch davor, sie bloß anzuschauen. Obwohl er wusste, dass das Bild, das er sich davon machte, sicher schlimmer war als die Wirklichkeit, krampfte sich ihm der Magen zusammen, als er den Kopf drehte und den Blick auf die Hand richtete.
Abgesehen davon, dass sie einen zusätzlichen Finger besaß, sah seine Hand in dem weißen Latexhandschuh aus wie die von Micky Maus und damit auch wie die weißen Cartoonhände an den Wänden, die den Weg nach oben zeigten, wo ihn der tote Lanny mit einem Buch seiner Mutter auf dem Schoß erwartet hatte. Am Ende war der Handschuh sogar ein wenig eingerollt.
Eine über die Handfläche krabbelnde Spinne erwies sich beim zweiten Blick als feiner Blutfaden, was der Situation selbst den letzten Rest schwarzen Humors raubte.
Billy hatte eine wesentlich stärkere Blutung erwartet. B e stimmt hielt der Nagel den Blutstrom auf. Wenn er ihn herauszog …
Mit angehaltenem Atem lauschte er. Keinerlei Geräusch mehr in der Küche. Offenbar war der Mörder verschwunden.
Er wollte nicht, dass dieser Irre ihn noch einmal schreien hörte. Die Genugtuung sollte er nicht bekommen.
Der Nagel. Sein Kopf war nicht ins Fleisch eingedrungen. Zwischen Handfläche und Nagelkopf waren etwa zwei Zentim e ter Stift frei. Im Stahl sah Billy die Greifspuren der Nagelpistole.
Wie lang der Nagel war, konnte er nicht wissen. Dem Durc h messer nach zu urteilen, musste das Ding mindestens acht Zentimeter lang sein.
Wenn man den sichtbaren Teil und jenen abzog, der sich durch die Hand bohrte, dann steckten bei dieser Berechnung etwa zweieinhalb Zentimeter im Boden. Das hieß, dass der Nagel die Bodendiele und den Belag darunter durchschlagen hatte, aber nicht noch weiter in einen Tragbalken eingedrungen war.
War das Ding hingegen zehn Zentimeter lang, dann steckte es womöglich fest in einem Balken. Es zu lockern, würde um zwei Zentimeter übler sein.
In der Zeit, aus der das Haus stammte, hatte man stabil gebaut. Die den Unterboden tragenden Balken hatten wahrscheinlich einen Querschnitt von fünf mal zehn oder fünf mal fünfzehn Zentimetern und waren mit dreißig Zentimetern Abstand gesetzt.
Billys Chancen standen also gar nicht schlecht. Von jedem vierzig bis fünfundvierzig Zentimeter breiten Stück Boden waren nur zehn bis fünfzehn Zentimeter mit Balken unterlegt.
Hätte man zehn Nägel wahllos in den Boden geschlagen, dann hätten nur drei davon einen Balken durchbohrt. Die anderen sieben hätten in den leeren Raum dazwischen geragt.
Als Billy versuchte, die Finger der linken Hand zu biegen, um ihre Beweglichkeit zu testen, heulte er ungewollt vor Schmerz auf. Es gelang ihm den Schrei zu
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