Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
siebenbürgischen Temesvar auf Demonstranten, es gab erste Tote, was aber den Protest nur befeuerte, anstatt ihn zu ersticken: Temesvar wurde die erste freie Stadt Rumäniens.
Ceauşescu, im festen Glauben an eine aus dem Ausland gesteuerte Verschwörung, hielt bei seiner Rückkehr am 20. Dezember eine Rundfunkansprache, in der er als Urheber der Proteste Faschisten und Hooligans, Terroristen und ausländische Kräfte, vor allem Ungarn, verantwortlich machte. Damit erfuhr erstmals das ganze Land von den Vorkommnissen. Am nächsten Tag schickte die Regierung Arbeiter-Schlägertrupps nach Temesvar, um dem Aufruhr ein Ende zu bereiten – allerdings verbrüderten sich die Menschen, anstatt aufeinander loszugehen. Ebenso scheiterten mehrere Versuche des Diktators, das Volk persönlich zu beruhigen. Nach dem letzten dieser Auftritte am 22. Dezember, der Ausnahmezustand war bereits ausgerufen, warf die aufgebrachte Menge zunächst Steine und stürmte dann den Sitz des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei. Das Ehepaar Ceauşescu rettete sich aufs Dach und brachte sich im Hubschrauber vor dem eigenen Volk in Sicherheit. Dann wurden auch das staatliche Radio und Fernsehen besetzt und der Dichter und Oppositionelle Mircea Dinescu verkündete den Triumph der Revolution: »Der Tyrann ist geflohen, das Volk hat gesiegt!« Die Ceauşescus wurden nach einer verzweifelten Flucht in gekaperten Autos gefasst und nach Targoviste gebracht – die Stadt, die Ceauşescu einst zur neuen, glanzvollen Hauptstadt Rumäniens hatte ausbauen wollen.
In Bukarest bildet sich unterdessen aus dem Kreis, der nunmehr das Fernsehen kontrolliert, eine Übergangsregierung, die »Front zur nationalen Rettung«, unter Ion Iliescu, seit 1953 Mitglied der Kommunistischen Partei, aber längst von Ceauşescu wegen Aufsässigkeit entmachtet. Iliescu kündigt im Fernsehen an, die Armee habe den Befehl erhalten, sich zurückzuziehen. Trotzdem schießen bewaffnete Einheiten der Securitate weiter auf das Volk, was der Übergangsregierung langfristig in die Hände spielt, aber noch mehr Todesopfer fordert, als bisher ohnehin schon zu beklagen waren. Vor dem 22. Dezember, also vor der Machtübernahme der neuen Regierung, werden bei den Unruhen 144 Menschen getötet, aber 889 sollen noch folgen, die bei Weitem meisten davon in der Hauptstadt Bukarest. (Von den insgesamt 1033 Revolutionstoten sind 352 unter dreißig und 187 jünger als zwanzig.)
Die andauernde Gewalt liefert der Nationalen Rettungsfront ein Argument für den kurzen Prozess: Wenn der abgesetzte Staatschef von unbelehrbaren Getreuen befreit zu werden droht, ist Gefahr im Verzug. Die neue Regierung beschließt, das Ehepaar Ceauşescu vor ein Militär-Sondergericht zu stellen, das mit eigenen Leuten besetzt ist – und dessen Urteil vorab feststeht. Das Politbüro der Staatspartei wird verhaftet, die Securitate aber nicht etwa entwaffnet und aufgelöst, sondern dem Verteidigungsministerium unterstellt.
Auch wenn die Ceauşescus im Rahmen der rumänischen Revolution zu Tode kamen, so geschah dies nicht im Namen der Revolution und auch nicht durch die eigentlichen Revolutionäre. Denn es war nicht die Revolution, die das Diktatorenpaar so schmählich und ohne jede Möglichkeit, das Urteil des kurzen Prozesses anzufechten, töten ließ. Die Entscheidung, sich der Ceauşescus zu entledigen, traf die alte Riege, die sich zum Zwecke des Machterhalts neu formiert und gegen ihren einstigen Führer gestellt hatte. Noch während der Volksaufstand im Gange war, führte ein Teil dieser Machtelite einen Staatsstreich durch, den sie seither zu kaschieren suchte – mit einigem Erfolg. In der Folge gelang es ihr, alle Schuld an der rumänischen Misswirtschaft, an der staatlichen Unterdrückung allein Ceauşescu anzulasten und die eigenen Leute zu revolutionären Helden zu erheben, wofür man sogar Zertifikate ausgab. Auch die Beteiligten an dem Prozess gegen das Conducatorenpaar machten rasch Karriere. Gleichzeitig wich man einer umfassenden Bestandsaufnahme der Verfehlungen des kommunistischen Systems und der politischen Klasse aus. Zwar wurden die Revolution zum Sieger ausgerufen und vordergründig Maßnahmen getroffen, mit denen das Land grundlegend umgestaltet werden sollte. Aber ähnlich wie ein knappes Vierteljahrhundert später in Ägypten sahen sich die eigentlichen revolutionären Kräfte, die ihr Leben eingesetzt hatten, um die Revolution betrogen. Das durch den Umsturz
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