Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
ideologischen Gründen konstant gehalten wurden. Das Konsumwarenangebot sank trotzdem, während durch steigende Löhne der Kaufkraftüberhang ständig wuchs – Quelle erheblicher Frustration, weil der Nachfrage kein genügendes Angebot gegenüberstand.
Entsprechend stieg die Verschuldung der DDR im »nicht sozialistischen Ausland«, zu dem auch die Bundesrepublik zählte, von rund 2 Milliarden auf rund 20 Milliarden Valutamark im Jahr 1989, was einem Fünftel des Bruttoinlandsproduktes entsprach. 1988 mussten mehr als fünfzig Prozent des Staatshaushalts aus geliehenem Geld bestritten werden. Längst überstiegen also die Aufwendungen für den Schuldendienst die Einnahmen, die DDR hatte also immer neue Kredite aufzunehmen. Da waren es dann auch nicht mehr nur Rohstoffe und Konsumgüter, die beim Klassenfeind teuer eingekauft werden mussten, sondern selbst Getreide, Steinkohle, Dünger- und Futtermittel. Schon 1982 war die DDR so gut wie zahlungsunfähig, und aus der Patsche half ihr mit rettenden Bürgschaften nicht Moskau, sondern Bonn, was Honecker allerdings nur auf kurze Sicht rettete. Ohne Westkredite ging nichts mehr, aber die Bundesrepublik nutzte die Gläubigerrolle, um humanitäre Forderungen durchzusetzen. Darunter waren Reiseerleichterungen, die nunmehr eine größere Zahl DDR-Bürger, in den Westen brachte, die als Rückkehrer von den Verhältnissen im nicht sozialistischen Ausland berichteten. Die DDR-Währung verfiel – zwar war sie nicht konvertibel, aber die inoffizielle Zweitwährung D-Mark wurde immer wichtiger. Jede siebte Mark im Umlauf war schließlich Westgeld, die Sparguthaben mitgerechnet lag der D-Mark-Anteil in der DDR schätzungsweise sogar bei annähernd zwei Drittel.
Dass die DDR-Wirtschaft trotz allem vier Jahrzehnte durchhielt, erklären Fachleute mit dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Beispielsweise wurden Schwächen des Plansystems immer wieder dadurch aufgefangen, dass mit seinen Schlupflöchern die starren Vorgaben teilweise umgangen werden konnten. Der sogenannte »graue Markt« der Betriebe untereinander schuf einen gewissen Spielraum. Der allgegenwärtige Mangel erzeugte nicht nur im Privatleben, sondern auch in den Betrieben eine bewundernswerte Flexibilität im Management des Machbaren. Sodann wurde die DDR subventioniert – vor allem von der Sowjetunion, die jedoch in den Achtzigerjahren ausfiel, sowie seit den Siebzigerjahren von der Bundesrepublik. Und schließlich gründete die ostdeutsche Wirtschaft auf weit entwickelte Industriestrukturen der Vorkriegszeit.
Am Ende aber konnten die wirtschaftlichen Defizite nicht mehr aufgefangen werden. 1988 gab der Chef der Planungskommission Gerhard Schürer Staatschef Honecker ein dringliches Warnsignal: Ohne grundlegende Wirtschaftsreformen und einen strikten Sparkurs drohte das Land ökonomisch gegen die Wand zu fahren. Honecker wies die Vorschläge zurück – sie lagen außerhalb seines Vorstellungsvermögens, und das nicht nur, weil sie der herrschenden Parteilehre zuwiderliefen, er hätte zudem auch seinen wachsenden Realitätsverlust überwinden müssen. Zwar beauftragte die Parteiführung die Plankommission, die Krise zu beheben, verweigerte ihr aber die dafür notwendigen Maßnahmen zum Strukturwandel. In der Folge ging es weiter bergab, bis im Herbst 1989 die DDR zwar noch nicht bankrott war, aber ohne die notwendige wirtschaftliche Rosskur geradewegs auf die Pleite zusteuerte.
In die exklusive Riege der größten Industriestaaten der Welt gehörte die DDR also zu keiner Zeit. Der Grund für die falschen Annahmen hinsichtlich der ostdeutschen Wirtschaftspotenz lag in gezielter Desinformation, die zu Teilen auf den Nährboden westlichen Wunschdenkens fiel. DDR-Wirtschafts-Parteisekretär Günter Mittag musste daran gelegen sein, bei steigender Verschuldung vor allem bei den Schuldnern im Westen die Bonität aufrechtzuerhalten, um kreditwürdig zu bleiben. Da nur der Staat über alle ökonomischen Daten verfügte, war es ihm ein Leichtes, die Angaben entsprechend zu frisieren. Im Parteiorgan Neues Deutschland schrieb Mittag beispielsweise in der Adventszeit 1988, dass die DDR zu den Top Ten der führenden Wirtschaftsnationen gehöre. In seinen Nachwende-Memoiren fand er diese Einschätzung hingegen nicht erwähnenswert. Aus Mangel an unabhängig erstellten Zahlen übernahmen westdeutsche Fachleute die offiziellen Angaben, darunter insbesondere der Sachverständigenrat der Bundesregierung und das Deutsche
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