Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
allerdings nicht genannt werden durften, und gab gar die Parole aus, den Westen zu »überholen, ohne einzuholen«. Es war der ambitionierte Versuch, den Teufel in der Planwirtschaft mit dem kapitalistischen Beelzebub auszutreiben, indem ein »System ökonomischer Hebel« zum Einsatz gebracht wurde. Aber der Durchbruch gelang trotz anfänglich beachtlicher Erfolge nicht. Claus Krömke, damals wissenschaftlicher Assistent der SPK, benannte das Kernproblem: »Dass die Widersprüche zwischen dem im Primat der Politik zum Ausdruck gebrachten Machtanspruch der Partei und den ökonomischen Zwängen unlösbar waren, daran eben dachte damals keiner der Reformer. Sie glaubten fest daran, dass diese sozialistische Gesellschaft so stark sei, dass sie Anleihen an das kapitalistische System nicht zu fürchten brauche, wenn man nur alles fest unter Kontrolle der Partei haben würde.« Entsprechend konnte die Reform kein großer Wurf werden, und so blieben auch die erhofften Erfolge aus.
Den Dogmatikern der Partei waren die marktwirtschaftlichen Elemente, die das Plansystem dynamischer gestalten sollten, von Anfang an nicht geheuer. Die Preise nicht mehr als starre Rechengröße anzusehen, sondern marktwirtschaftlich als regelnden Faktor in der Wechselwirkung zwischen Produzent und Verbraucher, war aus ideologischer Sicht blankes Teufelszeug. Als Leistungsmaßstab der Wirtschaft statt Produktion den Gewinn anzusetzen war kaum besser. Und den Betrieben mehr Entscheidungsspielräume zu gewähren widersprach dem Postulat einer straffen zentralistischen Wirtschaftsführung. Die Hardliner stemmten sich gegen ein Abweichen vom sowjetischen Vorbildmodell und brachten die Reformen zu Fall, sobald es ging – was der niedergeschlagene Prager Frühling ermöglichte, in dessen Folge Reformen des sozialistischen Systems zum Tabu wurden. 1970 machten die Gegner dem Bemühen, der Planwirtschaft kapitalistische Beine unterzuschnallen, ein Ende, und ein Jahr später löste Erich Honecker als neuer Parteichef Walter Ulbricht ab. In der Zwischenzeit lag ein parteiinterner Machtkampf, dem die Wirtschaftspolitik als Thema diente.
Der neue starke Mann griff auf die alten planwirtschaftlichen Regeln zurück und verfolgte eine andere Strategie als sein Vorgänger, die aber ebenso ins Leere lief: Honecker baute darauf, mit sozialen Wohltaten und größerem Konsumangebot eine steigende Zufriedenheit der Bevölkerung in höhere Produktivität umzumünzen. Verbesserte Lebensumstände sollten zu mehr Leistungsbereitschaft führen. Im Zentrum stand die Wohnungsbaupolitik, die große Zeit des Plattenbaus begann. Allerdings war der Preis dafür höher als der wirtschaftliche Gewinn – am Ende war die DDR pleite. Denn die Bürger nahmen das verbesserte Angebot an, ohne sich deswegen dem Staat gegenüber in der Schuld zu sehen. Folglich verschlang Honeckers »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« bald mehr Geld, als das Land erwirtschaftete, und der Anreiz zu mehr Leistung blieb weitgehend folgenlos. Die Schere zwischen Konsumausgaben und Produktionseinnahmen ging immer weiter auf. Seit 1984 sanken die Produktionszuwächse kontinuierlich, bis Ende der Achtzigerjahre die DDR um zwei Drittel hinter der Bundesrepublik lag – damit hatte sich der Abstand seit Gründung der beiden deutschen Staaten mehr als verdoppelt. Gleichzeitig sank stetig die für eine dynamische, sich entwickelnde Wirtschaft unerlässliche Investitionsquote, die Infrastruktur wurde vernachlässigt, das Land zehrte von seiner Substanz. Wo in den Achtzigerjahren investiert wurde, scheiterte man, so bei der ehrgeizigen, aber absurd teuren Mikroelektronik oder in der Automobilindustrie. Der Kfz-Bestand überalterte zusehends, auf einen Neuwagen wartete man bis zu siebzehn Jahre. Selbst das Wohnungsbauprogramm blieb erheblich hinter den gesteckten Zielen zurück.
Von Mahnern im Politbüro ließ Honecker sich nicht beirren, stattdessen wurde die Auslandsverschuldung der DDR in die Höhe getrieben, und bald stand der Import in keinem Verhältnis zum Export. Die Zuwächse der Subventionen für preisgebundene Güter, Wohnungen, Kultur, Gesundheitswesen etc. überstiegen regelmäßig die des Nationaleinkommens. Waren bei Honeckers Machtantritt noch jährlich 8 Milliarden Mark in Subventionen geflossen, betrug die Summe Ende der Achtzigerjahre bereits rund 50 Milliarden. Davon diente schließlich rund die Hälfte für Preissubventionen von Waren, deren Endpreise aus sozialpolitischen und
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