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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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hatten. Wir betrachten Demokratie auch deshalb als hehre Errungenschaft, weil wir sie als friedensliebend und -stiftend verstehen – demokratisch gesinnte Völker neigen seltener dazu, andere anzugreifen. Die demokratischen Staaten der griechischen Antike hingegen, allen anderen um Längen voran Athen, führten andauernd Kriege und waren selten verlegen darum, ihre mutmaßliche Überlegenheit durch Feldzüge unter Beweis zu stellen.
    Im Unterschied zur modernen Demokratie war die antike auch nicht auf die Zukunft ausgerichtet, weil Fortschritt damals gar keine Kategorie darstellte. Mit der Einführung der Demokratie wollten die Griechen nicht etwas Neues, Unerhörtes schaffen, nicht das Ruder der Geschichte herumreißen und eine neue Epoche anbrechen lassen, wie das Revolutionen auf ihre Fahnen schreiben. Moderne Demokratie hat immer die Verbesserung sozialer Verhältnisse im Gepäck, auch das war für die Griechen kein Thema: Weder soziale noch wirtschaftliche Zustände waren demokratischen Entscheidungen unterworfen. Sie wollten das Bestehende, Bewährte, Traditionelle nur auf bessere Art und Weise bewahren und gestalten. Daneben war der Freiheitsbegriff der griechischen Demokratie ein anderer: Während wir, zumal in der modernen Informationsgesellschaft, Freiheit als die des Individuums bei möglichst geringem staatlichen Dreinreden verstehen, bestand die Freiheit der demokratischen Griechen der Antike darin, an den kollektiven Entscheidungsprozessen den gleichen Anteil nehmen zu können wie jeder andere Bürger. Aber auch diese Freiheit hatte ihre Grenzen, denn die Teilhabe am politischen Leben setzte voraus, dass man es sich leisten konnte, ausreichend Zeit darauf zu verwenden, was schon in der Antike als Schwachpunkt kritisiert wurde.
    Ebenso unmodern ist das Fehlen des Begriffs vom Individuum als maßgeblicher kleinster Einheit. Freiheit war nicht die des Einzelnen an sich, sondern dessen Freiheit als politisch Mitentscheidender; dementsprechend verstand man Gleichheit als politische Gleichheit der Bürger. Unser Verständnis von Gleichheit aller Menschen und Freiheit als persönlicher Unabhängigkeit eines jeden ist etwas ganz anderes. Zudem bedeutete die Orientierung auf das Kollektiv hin, dass es nicht um die Durchsetzung von Einzelinteressen oder -ideen ging, sondern um das Gemeinwohl, dem alle verpflichtet waren.
    Mit dem Begriff des Bürgers kommen wir zum – aus moderner Sicht – sensibelsten Schwachpunkt der antiken Demokratie. Freie Bürger durften über die öffentlichen Angelegenheiten mitbestimmen – aber diese freien Bürger waren ausschließlich freie Männer über achtzehn; Frauen waren ebenso ausgeschlossen wie Ausländer und Sklaven bzw. Freigelassene. Unter den bis zu 300000 Einwohnern Attikas waren im 5. Jahrhundert, also etwa zur Zeit Perikles’, geschätzte 50000 Bürger politisch aktiv. Der Rest waren Frauen und Kinder, Sklaven und Ausländer. Bei aller zeitgenössischen Kritik an den Mängeln der Demokratie wird dieser doch wesentliche Aspekt oft nicht thematisiert – vielleicht weil die Ausübung von Politik an die Waffenfähigkeit gebunden war, die nur männlichen freien Bürgern zukam, aber auch aufgrund gesellschaftlicher Vorstellungen. Diese Exklusivität der Träger der Demokratie steht konträr zu unserem modernen Verständnis von Demokratie als einem Geschäft aller, das alle betrifft. Zudem war die überwältigende Zahl der Politiker von Rang, die die Geschicke ihrer poleis gestalteten, reich und meist auch adeliger Herkunft – auch das entspricht nicht unserer Vorstellung von Demokratie. Alles in allem war die älteste Volksherrschaft der Welt, wie es der englische Althistoriker Robin Osborne formulierte, »intolerant, kulturchauvinistisch und überaus restriktiv. Sie war letztlich das Produkt einer geschlossenen Gesellschaft.«
    Der große zeitliche Abstand zur Antike bedeutet sowieso, dass es keine Kontinuität zur modernen Demokratie gibt – ganz so, wie auch keine direkte Linie von den antiken zu den modernen Griechen führt. Das griechische Konzept der Demokratie war ohnehin nicht universell gedacht, und eine geschlossene politische Theorie, auf die moderne Demokratien sich stützen, wurde für die athenische Demokratie nie entwickelt. Die Griechen betrachteten ihre politische Errungenschaft als etwas spezifisch Griechisches und gar nicht anwendbar auf die Welt im Ganzen, so wie sie sie kannten. Ebenso wenig empfanden sie sie als das Nonplusultra

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