Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
Wettstreit ihrer Athleten anders ja gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Schon die Anreise aus allen Ecken Griechenlands nach Olympia hätte für alle Beteiligten größte Probleme bedeutet. Unter den Schutz des Zeus gestellt, wurde das gastgebende Elis zur entmilitarisierten Zone: Niemand durfte es mit Waffen betreten, auch durchziehende Truppen mussten dies unbewaffnet tun. Und um Teilnehmern wie Zuschauern eine gefahrlose An- und Abreise zu gewährleisten, verständigte man sich auf Sicherheiten.
Der hehre Gedanke eines »olympischen Friedens« aber, während dessen Dauer die Welt den Waffen entsagt und ihre Jugend versammelt, auf dass diese sich friedlich beim sportlichen Wettkampf messe, hat mit der Wirklichkeit der antiken Spiele wenig zu tun. Das ist den Althistorikern seit Langem bewusst, aber in der Öffentlichkeit bleibt die idealistische Vorstellung bis heute beherrschend, wenn es um die Geschichte des großen Sportereignisses geht.
Aber was hat es nun mit dem Irrtum auf sich? Wie so oft liegt die Erklärung im Detail, in diesem Fall in der Übersetzung. Die griechischen Quellen sprechen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen und ihrem ideellen Rahmen keineswegs von Frieden (griech. eirene ), sondern von Waffenruhe (griech. ekecheiria ). Wörtlich meint der Begriff das Zurückhalten der Hände. Es ging also nicht darum, einen Friedenszustand herzustellen, bevor an Wettkämpfe zu denken war, sondern um eine Kriegspause, die unter den Schutz des olympischen Zeus gestellt wurde. Alle vier Jahre wurde in Olympia zum Zwecke der Spiele eine Waffenruhe proklamiert, sodann schwärmten Boten in die griechischen Städte aus, um sie zu verkünden. Die Olympischen Spiele genossen schon in der Antike ein derartiges Prestige, dass der Aufforderung jeder Stadtstaat nachkam und in den folgenden drei bis vier Monaten die Sicherheit aller Sportler, Zuschauer und offiziellen Delegationen gewährleistete, ob aus Naxos kommend oder von Sizilien. Mehr bedeutete dieser Waffenstillstand nicht – also keineswegs, dass überall in der antiken Welt Kämpfe und Konflikte eingestellt oder vertagt worden wären. Da es allein um den Schutz der Spiele und ihrer Teilnehmer ging, konnten in gebührlicher Entfernung durchaus Kriege wüten. Das ist auch nicht wirklich verwunderlich: Zum einen gehörten kriegerische Auseinandersetzungen quasi zum Alltag, zum anderen kämpfte man stets in den Sommermonaten, und da fanden ja auch die Spiele statt.
Allerdings gab es tatsächlich einen Versuch, innergriechische Streitereien künftig prinzipiell friedlich beizulegen. Hintergrund waren die Perserkriege des frühen 5. Jahrhunderts, die das griechische Festland fast seine Unabhängigkeit gekostet hätten. Die griechische Zwietracht hätte die vereinte Anstrengung, die zum Sieg über die Perser nötig war, fast vereitelt, und um es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen, sondern die Einheit zu bewahren, wollte man in Olympia ein innergriechisches Schiedsgericht etablieren. Diese Praxis währte aber nur sehr kurz, weil die Interessen der verschiedenen griechischen Städte schon bald wieder auseinanderdrifteten. Das Ideal dahinter blieb jedoch präsent – und ist es in anderer Form bis heute.
Das Neutralitätsgebot und die Waffenruhe wurden bis zum Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) bis auf eine Ausnahme eingehalten. In diesem Bürgerkrieg aber wurde es schwierig, wie bisher kriegerische und sportliche Dinge gleichzeitig zu trennen und zu vereinbaren. Im Zuge dieses großen Krieges gab Elis, wo die Spiele stattfanden, seine Neutralität auf und schlug sich gegen Sparta auf die Seite Athens. Der ersten Regelverletzung folgte die zweite auf dem Fuße: Sparta rückte in Elis ein. Zu diesem Zeitpunkt war zwar der olympische Waffenstillstand längst ausgesprochen, aber die Spartaner flüchteten sich in das Argument, diese Nachricht sei in Sparta noch gar nicht angekommen. Nach dieser Version wären die olympischen Friedensboten und die spartanischen Truppen zwischen Sparta und Elis aneinander vorbeigelaufen, was eine ziemlich lahme Ausrede war. In den Augen ihrer Feinde hatten die Spartaner allen heiligen Gepflogenheiten krass zuwidergehandelt, weshalb sie, die auch nicht einlenken wollten, von den 90. Olympischen Spielen 420 v. Chr. ausgeschlossen werden sollten. Es war ein ziemliches Geschachere unter allen Beteiligten, auch die Eleer nutzten skrupellos das Prestige der Spiele und des Heiligtums Olympia, um den Spartanern zu
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