Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
zweite verbreitete These wird als »religionsgeschichtliche Hypothese« bezeichnet, weil sie die Entwicklung des christlichen Ritus im größeren religionsgeschichtlichen Kontext betrachtet und ältere heidnische Riten berücksichtigt. In vielen Fällen hat das Christentum, beispielsweise zum Zwecke der besseren Legitimierung, ältere Bräuche übernommen und umgewidmet. Diesem Erklärungsansatz zufolge geht das christliche Weihnachtsfest auf eine heidnische Sonnwendfeier zurück, die ebenfalls am 25. Dezember begangen wurde: die Geburt des Sol Invictus, des unbesiegten Sonnengottes im antiken Mithraskult. Es lässt sich ja auch ganz gut vermitteln, wenn eine neue Lichtgestalt den Platz der Sonne einnimmt und zugleich die Menschen ihre Gewohnheiten nicht vollends umstellen müssen. Auch der 6. Januar hat einen heidnischen Vorlauf als Festtag, den des Aion nämlich, des Gottes der Ewigkeit.
Nur: Diese heidnische Sonnwendfeier hat es vielleicht nie gegeben, denn Forschungen des Wiener Kirchenhistorikers Hans Förster haben ergeben, dass die Sache mit der heidnischen Sonnwendfeier zum späteren Weihnachtstermin ein regelrechtes Weihnachtsmärchen, eine veritable Forschungslegende ist. Ein christlicher Autor des 4. Jahrhunderts, Maximus von Turin, lobt ganz im Gegenteil sogar, dass Weihnachten ein treffliches Datum habe, weil es eben keine konkurrierenden heidnischen Bräuche für diesen Tag gebe – andere Autoren des frühen Christentums stoßen ins selbe Horn. Das spricht nicht gerade für die Notwendigkeit, einen konkurrierenden, weil besonders beliebten heidnischen Festtag durch christliche Umdeutung zu verdrängen. Einer weiteren Annahme zufolge entstand der Brauch des Weihnachtsfestes aus Spannungen innerhalb der noch jungen Kirche im 4. Jahrhundert, um der Gefahr des Arianismus, einer christlichen Strömung, die der offiziellen Lehrmeinung zuwiderlief und deshalb bald als Ketzerei abgetan wurde, etwas entgegenzusetzen.
Als kirchliches Fest wurde Weihnachten zunächst gar nicht begangen, der ältere Brauch ist der österliche. Die Geburt des Gottessohnes, der fleischgeworden unter die Menschen tritt, wurde dann aber doch als bedeutsam für die christliche Liturgie erkannt und musste ins christliche Festjahr eingepasst werden. Aber wann genau das der Fall war, lässt sich nicht mehr bestimmen. Erste konkrete Spuren hinterlässt das Weihnachtsfest im 3. Jahrhundert, etwas später wird in der Ostkirche Epiphanias als Fest greifbar, also der 6. Januar. Die erste überlieferte Weihnachtspredigt stammt aus dem 4. Jahrhundert: 362 oder 363 hat sie der nordafrikanische Bischof Optatus von Mileve in Numidien gehalten. Berühmt ist die Predigt des Johannes Chrysostomos, die der spätere Erzbischof von Konstantinopel zu einem Weihnachtsfest zwischen 386 und 388 in Antiochia hielt. Daraus geht hervor, dass das Weihnachtsfest damals zwar schon länger im Westen bekannt war (wohl seit mehreren Jahrzehnten), sich nunmehr aber auch im Osten der Christenheit durchsetzte. Weil aber Vorbehalte gegen die Bevorzugung des Weihnachtstermins gegenüber Epiphanias am 6. Januar bestanden, ergriff Johannes Partei und stritt für den 25. Dezember als den historischen Tag der Geburt Jesu. Da aber der Hintergrund seiner Predigt nicht die Herleitung des historischen Geburtstages Jesu, sondern der Streit um die Terminfrage 25. Dezember oder 6. Januar ist, hilft Johannes beim eigentlichen Problem nicht weiter. Der Kirchenvater Augustinus, der um 400 in Nordafrika wirkte und einer der wichtigsten Kirchenlehrer wurde, schätzte am Datum 25. Dezember, dass an diesem (nach damaliger Zeitrechnung) kürzesten Tag des Jahres das Licht wieder mehr werde – so wie Jesus das Licht des Christentums unter die Menschen brachte.
Nun, alle diese frühen Berechnungen, historisch mehr oder weniger belastbar, wurden angestellt – oder konstruiert – als Rechtfertigung dafür, dass man das Weihnachtsfest zu diesem Datum beging. Beweise für den historischen Geburtstag des Religionsstifters Jesus sind sie ebenso wenig wie sie erklären, wann Weihnachten in den christlichen Festkanon aufgenommen wurde.
In jüngster Zeit wurde schließlich noch eine weitere Begründung für den Termin 25. Dezember ins Spiel gebracht, die ausgesprochen weltlich und praxisorientiert ist und womöglich deshalb besonders wahrscheinlich: Danach stand die Einführung eines weiteren Festankers in einiger zeitlicher Entfernung zum beliebten Osterfest im engen
Weitere Kostenlose Bücher