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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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machten russische Erzeugnisse auf den Märkten der Hanse in Mittel- und Westeuropa einen erklecklichen Anteil aus. Zu den genannten Waren kamen später noch Rohstoffe wie Tierhäute, Hanf und Flachs oder Pottasche.
    Christianisiert wurde Nowgorod vermutlich Ende des 11. Jahrhunderts unter erheblichem Widerstand. Da war die spätere Bischofskirche St. Sophia gerade aus Stein erbaut, die mit ihren fünf Kuppeln noch heute den Mittelpunkt der Stadt bildet. Errichtet wurde sie auf der linken Flussseite, die daher auch Sophienseite genannt wird, im Unterschied zur Handelsseite auf dem rechten Ufer, wo sich der Marktplatz und die Handelsniederlassungen befanden. 1165 wurde Nowgorod Erzbistum, der Bischof stieg später zum nominellen Stadtoberhaupt auf.
    Im Elend der Zerstörung der Stadt durch die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg ergriffen Archäologen die Gunst der Stunde und unternahmen umfangreiche Ausgrabungen im Stadtgebiet. Die ältesten archäologischen Funde stammen aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts, weswegen man von der Gründung der Stadt um die Wende zum 10. Jahrhundert ausgehen kann. Unter der Fürstenresidenz wurden allerdings Reste eines Vorgängerbaus aus der Mitte des 9. Jahrhunderts gefunden, die skandinavisch beeinflusst sind und damit alte Chroniken bestätigen, in denen von einem skandinavischen Fürsten die Rede ist, den die Stadt einst an ihre Spitze berufen haben soll. Als die Stadt später unter Oberherrschaft des Großfürsten von Kiew stand, schickte der häufig seinen ältesten Sohn als Statthalter – und wenn es fürstlichen Familienzwist gab, was nicht selten war, fühlten sich die Nowgoroder als Leidtragende.
    Angesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und des Reichtums der Stadt entwickelten die Bürger von Nowgorod aber ein hohes Maß an Selbstbewusstsein, auch politisch, und unternahmen Anstrengungen, sich von der Gängelung Kiews zu befreien. Ziel war, was Kaufleute überall auf der Welt zu allen Zeiten erstrebten: möglichst ungestört Handel treiben zu können, in diesem Fall unabhängig von politischen oder dynastischen Auseinandersetzungen. 1136 suchten sie den Machtkampf und entschieden die Sache für sich: Fortan sollte der Fürst an der Leine der Stadt gehen, nicht länger umgekehrt. Maßgebliches Entscheidungsgremium wurde die städtische Ratsversammlung bzw. die Amtsträger, die sie benannte.
    Den Vertrag der einstigen Berufung des skandinavischen Fürsten machten die Bürger nunmehr zur Blaupause für ihre Fürstenwahl, die sie fortan praktizierten. Der Vertrag selbst ist nicht erhalten, aber danach konnte der Vece, die Nowgoroder Ratsversammlung, einen Fürsten seiner Wahl einladen – und für den Fall, dass er die Vereinbarungen nicht einhielt, auch wieder vom Hof jagen. Seine Rechte wurden vertraglich genau festgelegt, der Erkorene musste in der Stadt wohnen, durfte aber im Nowgoroder Herrschaftsgebiet kein Land besitzen. Auch die Steuererhebung nahmen die Bürger selbst vor und redeten bei der Verteilung des Geldes mit.
    Der Vece, der unter freiem Himmel vor der Sophienkirche oder vor dem einstigen Fürstenhof auf der Handelsseite zusammentrat, wurde von einer eigenen Glocke einberufen. Weil die Geschicke der Stadt in seinen Händen lagen, kann man die Stadtverfassung als republikanisch bezeichnen. Verfassungsrechtlich war der Fürst nicht mehr als eine Art oberster Stadtbeamter, der dem Vece sogar Rechenschaft schuldete. Der Rat besetzte die wichtigsten Ämter: Bürgermeister (Posadnik), Tausendschaftsführer (Tysjackij) und Erzbischof, der zum nominellen Stadtoberhaupt wurde und auch sonst von der Regierungsform in Nowgorod ungemein profitierte. Auch außenpolitisch und gesetzgeberisch lag die Initiative beim Rat, während der Stadtfürst fürs Militärische zuständig war. Zu Zeiten kam Nowgorod sogar ganz ohne Stadtherrn aus, es gab dann rein ehrenamtlich einen Titel für einen benachbarten Fürsten, während der Vece die Stadt allein regierte.
    Den Einfall der Mongolen 1237–40 überstand Nowgorod ebenso wie die Invasionsversuche der Schweden und des Deutschen Ordens. Der Aufschwung durch den regen Fernhandel brachte eine kräftige Zunahme der Bevölkerungszahl mit sich: Zur Blütezeit der Stadt im 14. und 15. Jahrhundert lebten bis zu 30000 Menschen hier; eine ansehnliche Größe im europäischen Vergleich und die Hälfte mehr, als Moskau damals aufbieten konnte. Nowgorod erreichte damals fast die Größe Kölns und überrundete Nürnberg,

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