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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Legenden.
    Allerdings wurde das Nachleben des englischen Königs Richard I. von diesen schillernden Aspekten seines Wirkens regelrecht gekapert. Das Image des wagemutigen und risikofreudigen Ritterkönigs, der sein Leben auf Feldzügen und im Kampf verbringt, schob sich so sehr in den Vordergrund, dass es den Rest überstrahlte und schließlich von vielen Historikern sozusagen mit einem Minuszeichen versehen wurde: Der glanzvolle Held erschien zunehmend als politischer Hallodri, dessen eigentliche Herrschaftsbilanz zu seinem Nachteil ausfällt. Damit gepaart wurde häufig der Vorwurf erhoben, in seinen knapp zehn Regierungsjahren habe er gerade einmal ein paar Monate in England verbracht – und ohnehin sei der frankophone König der englischen Sprache gar nicht mächtig gewesen. Die kritische Einschätzung des leichtfertigen Abenteurers auf dem Thron, der lieber kämpfte als regierte, brachte der britische Kreuzzugshistoriker Steven Runciman auf den Punkt: »Er war ein schlechter Sohn, ein schlechter Gatte und ein schlechter König, aber ein kühner und großartiger Krieger.« Andere bezeichneten ihn als »Haudegen ohnegleichen« oder »Wirrkopf«. In kriegerischen Zeiten muss ein König sich auch als Krieger bewähren, aber auch ein Krieger, der kein Talent zum König abseits des Schlachtfeldes hat, ist für sein Reich nur von begrenztem Nutzen. Stimmt diese Bilanz der knapp zehnjährigen Regierungszeit Richards?
    Nun, die Einschätzung des Königs mit dem Löwenherzen als Abenteurer ohne Substanz greift entschieden zu kurz. So ist schon der Vorwurf, Richard sei unstet und impulsiv gewesen, allzu undifferenziert – immerhin attestierten ihm selbst seine Gegner die größte Beharrlichkeit, Geduld und eine bemerkenswerte Ausdauer. Daneben war er keineswegs ein ungeschlachter Haudrauf, sondern überaus kultiviert, hochgebildet und kunstsinnig. Seine Eltern hatten ihm eine vorbildlich umfassende Erziehung angedeihen lassen – er betätigte sich sogar als Dichter und war sehr musikalisch. Daneben legte Richard durchaus politisches Talent, diplomatisches Geschick und kühlen Realitätssinn an den Tag, beispielsweise verzichtete er auf die Eroberung Jerusalems, obwohl ihm das ewigen Ruhm in ganz Europa eingetragen hätte: Nur wäre der Triumph militärisch kaum von Dauer gewesen, denn die Muslime hätten die umkämpfte Symbolstadt dreier Religionen alsbald zurückerobert. Auch ihm vorzuhalten, seine Verhaftung auf der Rückreise vom Kreuzzug durch impulsives und überhebliches Verhalten im Heiligen Land gegenüber dem Herzog von Österreich selbst verschuldet zu haben, ist unangebracht. Eigentlicher Hintergrund der Verhaftung waren taktische Spielchen des Kaisers und des französischen Königs, die den Rivalen ausbremsen wollten, sowie die Aussicht auf ein stattliches Lösegeld.
    Ein weiterer Vorwurf lautet, anstatt sich um die Geschicke seines Landes zu kümmern, sei der frisch gekrönte König sogleich zum Kreuzzug aufgebrochen – aus bloßer Abenteuerlust und Kampfeswut. Charles Dickens schrieb einmal, Richard sei es immer nur darum gegangen, anderen die Köpfe einzuschlagen, weshalb er ganz erpicht darauf war, »das Kreuz zu nehmen«, wie man es nannte, wenn jemand ins Heilige Land aufbrach. Die Begeisterung fürs Rittertum aber teilte er mit seiner Zeit, sie wurde von einem König auch erwartet. Und die Kreuzzugspropaganda war damals so umfassend und so erfolgreich, dass Richard, wie andere Fürsten, sich dem Wunsch des Papstes nicht entziehen konnte. Zumal er, zwei Jahre bevor er König wurde, auf die Kreuznahme einen Eid geleistet hatte. Unter diesen Gegebenheiten ist auch der Vorwurf, er habe zur Finanzierung dieses Feldzuges sein Land ausbluten lassen, zwar gerechtfertigt, greift aber ins Leere, weil der Kreuzzug in den Augen der Zeit sein musste und vor Gott größte Ehre brachte, also ganz überwiegend akzeptiert war. Das Heilige Land in den Händen der Muslime – das war für fast jeden Christen ein unerträglicher Zustand.
    Und was die Sorge um das Königreich betrifft: Bevor der junge König zum Kreuzzug aufbrach, suchte er so gut wie möglich die Verhältnisse in seinen Ländereien zu ordnen. Richards verlängerter Arm während der langen Abwesenheit war vor allem seine Mutter Eleonore, daneben konnte er sich auf die englische Verwaltung verlassen, mit der sein Vater das Land modernisiert hatte. Nach seiner Rückkehr war er nicht nur militärisch erfolgreich im Bestreben, seine festländischen

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