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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Wien oder Augsburg. Keine Stadt im ostslawischen Raum war größer, im 15. Jahrhundert könnte die Einwohnerzahl gar bei 80000 gelegen haben. Die Bewohner kamen aus vielen Regionen Europas, darunter waren neben Westslawen vor allem Skandinavier, Balten und Norddeutsche. Der Bedeutung und Macht entsprach das ausgedehnte Herrschaftsgebiet Nowgorods, das bis zum Nordmeer und im Osten ans Uralgebirge reichte, wenn auch der eigentliche Stadtstaat bedeutend kleiner war. Diese Hochzeit als Handelsmetropole ging einher mit einer langen Epoche bemerkenswerter kultureller und künstlerischer Blüte – und mit faktischer städtischer Autonomie, die insgesamt ein halbes Jahrtausend währte. Sogar innerhalb der Hanse war Nowgorod diejenige Stadt mit der größten Eigenständigkeit.
    Erst 1478 fand die Autonomie ein Ende, als sich das Großfürstentum Moskau zur Führungsmacht im Nordosten Russlands aufschwang und sich die Handelsstadt nach jahrelangem Krieg gewaltsam einverleibte. Zur Strafe für die Widerspenstigkeit der Nowgoroder, die im Widerstand gegen Moskau Rückhalt bei Polen-Litauen gesucht hatten, wurde die Vece-Glocke als Symbol der Unabhängigkeit der Stadt nach Moskau verbracht. Aber nicht nur die städtische Autonomie, sondern die besten Zeiten als internationale Handelsmetropole waren damit vorbei.
    Nowgorod unterschied sich ganz erheblich von allen anderen altrussischen Städten, in denen das Kräftemessen letztlich immer zugunsten des Stadtfürsten ausging. Und dieses hohe Maß an Eigenständigkeit und Mitsprache hat der Stadtrepublik den Titel der ersten Demokratie Russlands eingetragen und in mancher ideologischen Debatte zu Argument oder Beispiel werden lassen: vor allem im 19. Jahrhundert, als man unter der Zarenherrschaft litt, aber auch heute noch. Für viele gilt als ausgemacht, dass Ende des 15. Jahrhunderts, als die Stadt Opfer des Moskauer Despotismus wurde, eine strahlende Errungenschaft erstickte, noch bevor sie der russischen Geschichte eine andere, tolerantere, demokratischere, ja: westlichere Entwicklung hätte geben können. Nowgorod als östliche Wiege der Demokratie – eine schöne Vorstellung. Sowjetische Historiker gingen sogar so weit, in der russischen Geschichte eine altslawische Urdemokratie zu verorten.
    Der Quellenbestand zur russischen Geschichte vom 9. bis 14. Jahrhundert ist überaus dünn, zu viel Schriftliches fiel den häufigen Bränden zum Opfer, die in den überwiegend aus Holz errichteten Gebäuden viel Schaden anrichten konnten. Das lässt eine Menge Interpretationsspielraum, der nicht selten zum Vorteil einer bestimmten Sichtweise oder einer Ideologie genutzt wurde. Und auch die überlieferten Chroniken sind nicht zuverlässig, da sie mehr die jeweilige Deutungshoheit über die Vergangenheit vermitteln und weniger die nackten Tatsachen. Wie aber sah sie wirklich aus, die »älteste Demokratie Russlands«?
    Prinzipiell stand allen freien Nowgoroder Bürgern ab einem bestimmten Alter offen, sich im Vece an den Entscheidungen zu beteiligen – was bedeutet, dass es eben auch Unfreie gab. Diese recht große Gruppe war von aller politischen Teilhabe ausgeschlossen. Auch die Frauen waren benachteiligt und schon rechtlich von den Männern abhängig. Nowgorod war zwar eine Republik, aber keine Demokratie, sondern vielmehr eine Oligarchie, in der die Bojaren, der lokale Hochadel, das Sagen hatten und die wichtigen Ämter und Gremien ausschließlich unter sich besetzten. Von einer demokratischen Eigenverwaltung Nowgorods im heutigen Sinn kann also keineswegs die Rede sein. Zugleich war die Schere zwischen Arm und Reich enorm groß, und neben der Kirche verfügte der Adel über den weitaus größten Teil des Landes. Die überwältigende Mehrheit der Einwohner – Unfreie, aber auch kleine Handwerker und Kleinhändler sowie die Bauern, die überwiegend außerhalb der Metropole ansässig waren – besaßen wenig bis keine Einflussmöglichkeiten auf die Geschicke der Stadtrepublik. Nicht ganz ausgemacht ist übrigens, worin sich der Niedergang der Handelsstadt letztlich begründete, aber einiges spricht für Machtkämpfe der Bojaren untereinander. Deren jeweilige Verbündete hatten es auf das reiche Nowgorod abgesehen: das mächtige Polen-Litauen im Westen und Moskau, das schließlich obsiegte.

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