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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Herrschaftsgebiet sichern. Ein solches Vorhaben war soeben in Siebenbürgen gescheitert, weshalb man es nun besser vorbereitete: Lange bevor sich die Ordenstruppen in Gang setzten, ließen sie ihren Plan vorab vom Kaiser absegnen. Das war zwar gegen das Interesse des Herzogs, der ja nur Militärhilfe begehrte – aber ohne Alternative gestand Konrad dem Orden zu, sich im Kulmer Land niederzulassen. Diese Transaktion bestätigen mehrere Urkunden, sie wird von der Forschung auch nicht in Abrede gestellt.
    Darüber hinaus aber, so geht aus einer päpstlichen Bulle vom August 1234 hervor, kam es zum Kruschwitzer Vertrag. Diese Urkunde vom Mai 1230, ausgestellt im heutigen Kruszwica, bestimmte, dass Konrad I. dem Deutschen Orden nicht nur das Kulmer Land zu übertragen hatte, sondern auch alles, was er künftig noch von den Prußen erobern würde, als Schenkung unter Aufgabe aller seiner Rechte an diesen Gebieten. Die Probleme mit diesem Vertrag beginnen mit der Tatsache, dass es kein Original gibt, das seine Echtheit beweisen – oder ihn als Fälschung entlarven würde. Die Prüfung der Echtheit muss also auf anderem Weg erfolgen, über den Weg der Textkritik und der Würdigung im historischen Kontext. Da aber der Vertrag von Kruschwitz als rechtliche Grundlage der Herrschaftsnahme des Deutschen Ordens im späteren Ostpreußen galt, wurden Zweifel an seiner Echtheit rasch zu einem Politikum. Zwar war dem Orden schon 1226 von Kaiser Friedrich II. zugestanden worden, sich an der Weichsel niederzulassen, aber das stellte eine reine Absichtserklärung dar, um das Vorhaben vorab von höchster Stelle absegnen zu lassen. Im Kruschwitzer Vertrag aber wurden Tatsachen geschaffen, auch wenn die eigentliche Eroberung noch ausstand – und wenn der Vertrag gefälscht ist, rückt das den Deutschen Orden eben doch in ein schlechtes Licht, weil er sich sein Ordensland nicht nur erobert, sondern auch noch juristisch ertrickst hat.
    Bald nach der Gründung des Deutschen Reiches von 1871 versuchte der Königsberger Urkundenspezialist Max Perlbach den Vertrag als Fälschung zu entlarven, was in dieser Zeit nationaler Begeisterung in Deutschland große Entrüstung auslösen musste. Polnische Historiker hingegen stimmten Perlbach zu, die Parteinahme in der Angelegenheit geriet zu einer Frage der Nationalität. Dass die Fronten der Historiker ziemlich genau entlang ihrer deutschen bzw. polnischen Herkunft verliefen, macht es noch heute kaum einfacher, die Sache ein für alle Mal zu klären. Perlbach wusste durchaus, welche geballte Ladung Empfindlichkeit er vor sich hatte. Ein Jahrhundert später darf als bewiesen gelten, dass Perlbach nicht nur mutig, sondern auch fachlich richtig urteilte, weil der Vertrag in der Tat eine Fälschung ist.
    Die Fälschung gibt sich unter anderem dadurch zu erkennen, dass der Deutsche Orden 1230, als der Vertrag geschlossen worden sein soll, in Polen noch gar nicht tätig war. Der polnische Historiker Gerard Labuda hält es daher für absurd, dass Herzog Konrad schon im Voraus derart voreilig eine so weitgehende Verzichtserklärung abgegeben haben soll. Noch dazu handelte es sich, abgesehen vom Kulmer Land, um Territorium, über das er gar keine Verfügungsgewalt besaß, weil es sich in der Hand der Prußen befand. Auch waren Herzog und Orden einstweilen Waffenbrüder, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Einvernehmen handelten – gestritten wurde später. Die Machtverhältnisse lagen also zum Zeitpunkt des angeblichen Vertragsabschlusses anders, als es der Vertragstext voraussetzt. Zudem wird eine dritte Partei in der Auseinandersetzung um Land und arme Seelen oft vergessen: Es gab noch einen Bischof, der sozusagen an vorderster Front für die Prußen zuständig war, die aber von ihm nichts wissen wollten. Dieser Bischof Christian, in dessen Rechte der Vertrag eingreift und der mithin in Konkurrenz zum Orden stand, hätte 1230 sicher Mitrede verlangt und erlangt – geriet aber 1233 auf einer Missionsreise ins Samland in Gefangenschaft der Prußen. Das erst gab dem Deutschen Orden, der auffälligerweise keine Bemühungen an den Tag legte, den Mann freizubekommen, die Möglichkeit, abermals Fakten zu schaffen: Nachdem der Kaiser seinen Segen für das Engagement des Ordens im Osten des Reiches bereits gegeben und der Herzog mit dem Kulmer Land ein kleines Gebiet zur Verfügung gestellt hatte, ließ sich die Herrschaftsnahme mit territorialer Substanz versehen und somit vortrefflich abrunden,

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