Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
rund 800 Jesuiten in Portugal sowie weitere 900 aus den portugiesischen Kolonien. Der Erste Minister und de facto mächtigste Mann des Landes Sebastião José de Carvalho e Mello, später zum Marquis de Pombal erhoben, hatte das Datum der Verfügung nicht zufällig gewählt: Genau ein Jahr zuvor wäre der portugiesische König Joseph I. beinahe bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Joseph befand sich gegen elf Uhr abends auf der Rückfahrt von einem Schäferstündchen mit seiner Geliebten, der Marquise von Távora, weswegen er keine Eskorte mitführte. Weil ein Tor verschlossen war, nahm der Kutscher eine Seitenstraße, als plötzlich drei Männer aus der Dunkelheit auftauchten und den königlichen Wagen unter Beschuss nahmen. Kutscher und König, Letzterer an Arm, Schulter und Brust verletzt, reagierten geistesgegenwärtig und konnten fliehen. Pombal machte die Jesuiten für das Attentat verantwortlich.
Der spätere Marquis de Pombal regierte Portugal für den apolitischen König Joseph I. im Sinn des aufgeklärten Absolutismus, der damals in Europa vorherrschte. Die Vertreter dieser Regierungsform, von denen der bekannteste der Preußenkönig Friedrich der Große ist, verstanden sich zwar als absolute Herrscher, aber aufgeklärten Geistes. Auch Pombal führte zahlreiche Reformen durch, und zwar so energisch, dass es oftmals nicht ohne Gewalt abging. In den Reihen der Aufklärung, die der verkrusteten Kirche radikal zu Leibe rücken wollte, fiel der Beifall groß und die Kritik am gewaltsamen Vorgehen gering aus. Insgesamt ist die historische Beurteilung Pombals gespalten, weil er einerseits despotisch regierte, andererseits ungemein reformfreudig und zukunftsorientiert war. Seine Modernisierung brachte aber keine Liberalisierung mit sich, weder politisch noch kulturell, beispielsweise blieb die Zensur bestehen, nur lag sie fortan nicht mehr in der Hand der Kirche, sondern in der des Staates.
Den Jesuiten war Pombal seit Beginn seiner Regierungstätigkeit feindlich gesinnt. Er machte sie (unzutreffenderweise, wie später nachgewiesen wurde) für den Guaraní-Krieg verantwortlich, in dem sich 1754 brasilianische Indianer ihrer Enteignung und Zwangsumsiedlung infolge eines Grenzvertrages der Kolonialmächte Spanien und Portugal entgegenstemmten. In der portugiesischen Kolonie Brasilien stand ein großer Teil der Ureinwohner unter dem Patronat der Jesuiten, was die Durchsetzung staatlicher Beschlüsse erschwerte und Pombals Wirtschaftspolitik in der riesigen Kolonie im Weg war. Aber es ging ihm nicht ums Geld allein, sondern ums Grundsätzliche. Pombal war fest davon überzeugt, dass an allem Übel, das Portugal in den vergangenen gut zwei Jahrhunderten befallen hatte, die Jesuiten Schuld hatten, seit sie 1540 ins Land gekommen waren. Mit dieser Meinung befand er sich in guter Gesellschaft derjenigen, die von der Aufklärung beeinflusst waren und als Katholiken eher den antijesuitischen Jansenisten nahestanden. Die Jesuiten waren für sie die Verkörperung des rückschrittlichen barocken Katholizismus der Gegenreformation, zumal der Orden, einstmals hochmodern, nicht mit der Zeit gegangen war. Gleichzeitig fürchteten sie seine immer noch bemerkenswerte Schlagkraft, vor allem durch seinen Einfluss auf das Erziehungswesen.
Dann ereignete sich das schreckliche Erdbeben, das an Allerheiligen 1755 allein in Lissabon 5000 Menschen das Leben kostete, die Hauptstadt zur Hälfte und den Süden des Landes dem Erdboden gleichmachte und großes Elend nach sich zog. Es war eine der ersten Katastrophen, die breite Medienwirkung erzielten, vergleichbar etwa mit dem Tsunami in Südostasien 2004, auch wenn sich natürlich Nachrichten damals bedeutend langsamer als heute verbreiteten. Kirchen, Klöster und der Königspalast fielen in sich zusammen. Die Zerstörungen nahm Pombal zum Anlass, eine Modellstadt nach aufklärerischen Grundsätzen zu errichten, geometrisch ausgerichtet und modernisiert. Als der populäre Jesuit Gabriel Malagrida lautstark die Ansicht vertrat, das Erdbeben sei die Strafe Gottes für den Sittenverfall der Portugiesen, suchte die Regierung durch Information gegenzusteuern und verbannte den Ordensmann.
Seither schien Pombal gewillt, jede sich bietende Gelegenheit in seinem Kampf gegen den verhassten Jesuitenorden zu nutzen. Längst stellten dessen Angehörige in seinen Augen das Haupthindernis für sein aufgeklärt-absolutistisches Regiment über Portugal dar. Er steigerte sich in einen ausgeprägten
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