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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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beeinflusst – heutzutage vor allem ablesbar am schwierigen Verhältnis zur Europäischen Union.
    Übrigens war das englische Geschichtsbild ursprünglich gegen Frankreich gerichtet, das als Gegenpol diente, um anhand der dortigen Könige mit despotischer Machtfülle den Vorzug des englischen Weges zu illustrieren. In der lächerlichsten Vereinfachung lief es darauf hinaus, die Engländer als der Anlage nach freiheitsliebend, die Franzosen hingegen als geborene Nation von Sklaven zu identifizieren – das war allerdings noch vor der Französischen Revolution.
    Dieses gefällige Bild der englischen Geschichte beruht also auf nichts mehr als auf einem Gegensatz zwischen England und Frankreich bzw. dem gesamten Kontinent in Sachen Parlamentarismus und Absolutismus im Barockzeitalter. Zugespitzt formuliert: Weil es in England frühzeitig ein starkes Parlament gab, konnten die Könige keine absoluten Herrscher werden. Und weil politische Repräsentation im Rest von Europa unterentwickelt war, nutzten die Herrscher auf dem Festland ihren Freiraum und schufen ein absolutistisches System. Nur: Diese einfache Gleichung basiert auf der herkömmlichen Vorstellung des Absolutismus, die längst hinfällig geworden ist. Abermals zugespitzt formuliert: Den Absolutismus gab es gar nicht. Das so handlich vereinfachende Kontrastbild kommt nur dann zustande, wenn man einer optischen Täuschung aufsitzt, die von einem abstrakten Forschungsbegriff ausgeht, der der historischen Wirklichkeit nicht entspricht. Zwar besaßen die Herrscher der Barockzeit eine Idealvorstellung von uneingeschränkter Herrschaftsausübung, ohne sie aber durchsetzen zu können.
    Längst hat die Forschung in hingebungsvoller Detailarbeit und aufwendigen Einzelstudien herausgearbeitet, dass die Dinge für Europas Fürsten so einfach nicht waren. Merkwürdig beispielsweise, dass es manchen angeblich absoluten Herrscher gab, der am Rande des Bankrotts balancierte. Die Bandbreite an Ausformungen der Monarchie ist enorm groß, abhängig nicht zuletzt von spezifischen Gegebenheiten, aber auch von den jeweiligen Monarchen selbst. Immer wieder zwar strebten die Fürsten nach größerer Macht, aber ob und in welchem Maße ihr Streben von Erfolg gekrönt war, hing von einem sehr komplexen Zusammenspiel ab. Macht lässt sich nicht allein aus einem starren Herrschaftssystem erklären, sondern ist in seiner Ausgestaltung von Umständen und Möglichkeiten abhängig, und die wandeln sich nun einmal beständig. Und Absolutismus, meist als Königsherrschaft ohne die Beteiligung von Ständen verstanden, war ebenfalls so nicht der Regelfall. Auf dem Kontinent kam es ebenso wie in England zu Situationen, in denen breiter Konsens hergestellt werden musste, um beispielsweise gemeinsam Krisen zu bewältigen oder Herausforderungen zu begegnen. Das gab politischen Kräften gleichzeitig einen Hebel an die Hand, um dem jeweiligen Fürsten Zugeständnisse abzuverlangen.
    Selbst ohne Krisen war der frühneuzeitliche Staat in Frankreich, Spanien oder Ungarn häufig auf Einvernehmen angewiesen, um funktionieren zu können. Und die Grenzen fürstlicher Macht und Selbstherrlichkeit konnten dem Herrscher durchaus effektiv vor Augen geführt werden, etwa in kleineren oder größeren Aufständen oder Protestationen – oft genügte schon eine Drohgebärde. Auf Recht, Gebräuche und Traditionen mussten die Fürsten durchaus Rücksicht nehmen, auf christliche Konventionen sowieso. Man war nun einmal, bei unterschiedlichen Interessen, aufeinander angewiesen, was besonders für die kriegerische Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts galt, als nicht nur Armeen finanziert werden mussten, sondern auch ungezählte Schlösser, die Versailles nacheiferten. Wer Kriege führen wollte, brauchte nicht nur einfache Soldaten, die damals meist noch Söldner waren, sondern auch viel Geld und Offiziere, die in der Regel aus dem Adel stammten, der daher nicht vollends marginalisiert werden konnte. Überhaupt war die Aristokratie für das Funktionieren der frühneuzeitlichen Staaten unersetzlich, was ihr natürlich Macht verlieh. Ebenso stellte das Volk durchaus eine Größe dar: Schließlich konnte kein Fürst vernünftigerweise die Lebensfähigkeit seines Staates aufs Spiel setzen, nur um seinen Kopf durchzusetzen.
    Der differenzierte Blick sowohl auf England als auch auf den Bezugsrahmen europäischer Kontinent zeigt, dass die Unterschiede zwischen Insel und Festland so grundlegend gar nicht sind. Und so entpuppt

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