Irrweg Grundeinkommen
sinnvoll, die Herstellung dieses öffentlichen Gutes nicht einigen großzügig denkenden, intrinsisch motivierten Menschen zu überlassen, die freiwillig vernünftige Löhne zahlen, sondern eine ordnungspolitische Regel dafür aufzustellen und so alle an der Finanzierung dieses öffentlichen Gutes zu beteiligen, die von seiner Existenz besonders profitieren. Und das sind nun einmal in erster Linie die Unternehmer und reiche Privatleute. Die haben einiges zu verlieren, wenn der soziale Frieden zusammenbricht, oder zumindest mehr zu verlieren als diejenigen, die den sozialen Frieden eines Tages aus Not und Frust aktiv aufkündigen könnten.
Aber, so kontern die Mindestlohngegner, wenn der Goldschmied die Reinigungskraft entlässt, dann hat sie von dem schönen Mindestlohn gar nichts. Doch ist das der relevante Fall? Dass sich der Goldschmied wegen einer Differenz von sechs Euro pro Stunde selbst nach Feierabend an die Reinigung seines Ladens macht oder gar seine Arbeitszeit mit dieser Tätigkeit verbringt, statt sie in die wesentlich gewinnträchtigere Herstellung einesSchmuckstücks zu stecken, kann man wohl getrost ausschließen. Sollte es dennoch so sein, also eine Entlassung des Geringverdieners stattfinden, ist die Produktivität des Betriebs eben nicht hoch genug, einem weiteren Menschen eine menschenwürdige Lebensgrundlage bieten zu können.
Für solche Einzelfälle steht dann aber die Arbeitslosenversicherung oder die Sozialhilfe zur Verfügung. Die Finanzlage der Sozialversicherung dürfte bei Existenz eines Mindestlohns allerdings bedeutend besser aussehen als derzeit, weil sie die vielen anderen Fälle unterbezahlter und staatlich zu subventionierender Geringverdiener dann los wäre und zugleich bessere Einnahmen erzielte.
Fazit: Die Bezieher höherer Einkommen respektive die Unternehmen, die bislang Geringverdiener beschäftigen, sind auf deren Dienste auch bei einem menschenwürdigen Mindestlohn, der oberhalb des bisher von ihnen bezahlten Lohns liegen mag, angewiesen, wenn sie arbeitsteilig produzieren wollen. Und dass das Gros der Unternehmer und reichen Privatleute nach wie vor arbeitsteilig produzieren beziehungsweise leben will, liegt daran, dass es sich buchstäblich lohnt, auch wenn vielleicht nicht mehr ganz so üppig wie zuvor. So sieht »Umverteilung« bei den Primäreinkommen aus: Die Verteilung der Früchte der Arbeitsteilung wird mit der Einführung eines menschenwürdigen Mindestlohns nur wieder vom Kopf auf die Füße gestellt, nämlich gestaucht, statt weiter gespreizt, was, normativ gesehen, fair und, logisch betrachtet, systemkonform ist. Genau das ist es, was unsere Volkswirtschaft braucht: weniger Ungleichverteilung bereits auf der Ebene der »Markt«-Einkommen. Das hat nebenbei den Vorteil, dass weniger auf der staatlichen Ebene an Umverteilung organisiert werden muss und entsprechend weniger Widerstände zu überwinden und legale wie illegale Ausweichreaktionen zu befürchten sind.
In einem Bereich allerdings ist mit sinkenden Arbeitsplatzzahlen für Geringqualifizierte zu rechnen: Es wird weniger »Dienstboten«, weniger Tankwarte, Schuhputzer und Tütenbefüller anSupermarktkassen geben. Die Nachfrage nach einfachen, bislang extrem billigen Dienstleistungen dürfte insgesamt zurückgehen, wenn man keinen Fensterputzer und keine Putzfrau mehr für fünf Euro pro Stunde engagieren darf. Doch ist das ein gesellschaftlicher Schaden? Ist der Wegfall solcher »Arbeitsplätze« (man könnte sie auch realitätsnäher als »Sklavenplätze« bezeichnen) tatsächlich ein Verlust für die dort Beschäftigten und Scheinselbständigen und all diejenigen, die diese Art von Tätigkeit durch Steuergelder subventionieren müssen? Wenn sich jemand eine Dienstleistung kaufen möchte, aber nicht bereit ist, für sie den Mindestlohn zu zahlen, ist nicht einzusehen, warum ihn die Gesellschaft beim Konsum einer solchen Dienstleistung durch Lohnsubvention unterstützen soll. Ist die Dienstleistung lebenswichtig, muss und kann das Personal vernünftig dafür bezahlt werden, und andere Konsumwünsche des Dienstleistungskunden müssen im Zweifel zurückstehen. Ist die Dienstleistung nicht dringend erforderlich, dann kann sie auch ruhig entfallen, wenn für diese Art von Luxus das Geld des bisher Nachfragenden nicht reicht.
Alle Versuche, mit Lohnsubvention die Arbeitsmarktprobleme Geringqualifizierter und Arbeitsloser lösen zu wollen, stellen eine Ausbeutung der Arbeitskraft einerseits und der
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