Irrweg Grundeinkommen
verlassen.
Auf dem Arbeitsmarkt sind Angebot und Nachfrage nicht unabhängig voneinander
Weil also die Marktsituation entscheidend ist, spielt die dritte Schwachstelle in der Argumentation der Mindestlohngegner eine wichtige Rolle: die Übertragung des einfachen einzelwirtschaftlichen Marktmodells – bei dem mit zunehmendem Preis die Nachfrage fällt und das Angebot steigt – auf einen so großen Markt wie den Arbeitsmarkt oder zumindest auf eines seiner Teilsegmente, nämlich das der geringqualifizierten Arbeit. Diese Übertragung ist deshalb falsch, weil das Marktmodell nur unter der Annahme richtig ist, dass Angebot und Nachfrage auf dem betreffenden Markt unabhängig voneinander sind. Ist ein Markt relativ groß im Vergleich zur Gesamtwirtschaft, ist die Unabhängigkeit von Angebot und Nachfrage auf diesem großen Markt nicht mehr gegeben. 31 Und daher sind alle Schlussfolgerungen, die für einen einzelnen Markt aus dem Modell gezogen werden können, für einen großen Markt hinfällig. Aus genau diesem Grund sind alle Modellrechnungen fragwürdig, die nachzuweisen versuchen, dass ein Mindestlohn von x Euro pro Stunde einen Verlust an y Arbeitsplätzen nach sich zöge. Denn alle diese Modelle beruhen auf der mikroökonomischen Grundannahme, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften mit zunehmendem Lohn fällt, und übertragen diese Annahme dann auf den gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmarkt beziehungsweise sein Niedriglohnsegment. Einkommensrückwirkungen des Mindestlohns auf die Güternachfrage und damit indirekte positive Effekte auf dieArbeitskräftenachfrage werden nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Das ist auch nicht verwunderlich, weil die Zusammenhänge außerordentlich vielfältig sind und daher praktisch kaum angemessen modellierbar.
Wie hat man sich die Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt konkret vorzustellen? Angenommen von einem Tag auf den anderen bezögen alle Geringverdiener einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde. Dann steigen die Lohnkosten für alle Unternehmen, die Geringverdiener beschäftigen. Zugleich dürfte sich die Güternachfrage dieser Menschen, sofern sie nicht gekündigt werden, schlagartig ausweiten. Für die Branchen, die vornehmlich für den Bedarf dieser Menschen produzieren und in entsprechenden Preissegmenten anbieten, macht sich das unmittelbar positiv bemerkbar. Sofern in ebendiesen Branchen auch geringqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt sind, steht der lohnbedingten Kostensteigerung also eine nachfragebedingte Umsatzsteigerung gegenüber. Das Ergebnis für den Gewinn ist damit immerhin offen und nicht von vornherein negativ, wie die Mindestlohngegner glauben machen wollen. Denn das einfache Marktmodell, das bei einer Lohnsteigerung den Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften vorhersagt, bildet nur den Kosteneffekt der Lohnsteigerung ab, nicht aber den Einkommenseffekt, der über die Güternachfrage positiv auf die Arbeitskräftenachfrage wirkt.
In Wirtschaftszweigen, die zwar Geringverdiener beschäftigen, aber nicht hauptsächlich für Geringverdiener produzieren, mag das anders aussehen: Dort gleicht kein Umsatzplus die Kostensteigerung aus. Doch heißt das notwendigerweise, dass die entsprechenden Arbeitsplätze verschwinden? Ist das Putzen des Büroturms der Bank aus dem oben genannten Beispiel auf einmal überflüssig, weil die Reinigungskraft statt sechs Euro pro Stunde nun zwölf Euro erhält? Nein, für den Kunden muss die Bank immer noch saubere Fußböden haben. Also wird entweder der Kunde ein bisschen mehr zahlen müssen für die Leistung, die er bei der Bank nachfragt, oder die Bank wird etwas weniger Gewinnmachen oder beide Varianten treten zum Teil ein. Und wenn der Mindestlohn flächendeckend und branchenübergreifend eingeführt wird, dann stellt er auch keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz dar, denn dann geht es allen anderen Banken mit ihren Reinigungskräften ebenso.
Mag sein, dass sich die Nachfrage insgesamt ein Stück weit verschiebt weg von den Branchen, die Geringverdiener beschäftigen, aber nicht vornehmlich für diese produzieren, hin zu Branchen, deren Kunden eher in den einkommensschwachen Schichten zu finden sind. Dass diese Branchen weniger Geringverdiener beschäftigen als andere, ist nicht von vornherein ausgemacht, es dürfte sogar eher umgekehrt sein, so dass der positive Nachfrageeffekt in diesen Branchen die Beschäftigungschancen dort steigert. Eine möglicherweise vom
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