Irrweg Grundeinkommen
Mindestlohn ausgelöste Nachfrageverschiebung geht daher nicht automatisch zu Lasten der Zahl der Arbeitsplätze für Geringqualifizierte.
Ferner ist davon auszugehen, dass ein Mindestlohn oberhalb heutiger Hungerlöhne das gesamte Gefüge der Arbeitseinkommen verschieben dürfte, und zwar in Richtung Stauchung der Lohnauffächerung: Am oberen Ende wird, relativ gesehen, etwas weniger verdient, am unteren Ende und im mittleren Bereich etwas mehr. Das aber dürfte die Nachfrageentwicklung insgesamt positiv beeinflussen, und zwar nicht nur, weil die Konsumquoten in den unteren Einkommensschichten höher sind als in den oberen. Es dürfte vor allem deshalb zu einem stärkeren Nachfragewachstum kommen, weil sich die Nachfragestruktur der unteren und mittleren Einkommensschichten mehr auf Wirtschaftsbereiche erstreckt, die industriell gefertigte Güter anbieten. Nehmen dort dank gestauchter Primäreinkommensverteilung Auslastung und Investitionen zu, verzeichnet ein Sektor Zuwächse, der traditionell überdurchschnittliche Produktivitätszuwächse aufweist. Das aber ist bei einer produktivitätsorientierten Reallohnentwicklung in der Gesamtwirtschaft das beste Mittel für Einkommenszuwächse insgesamt. Und von denen profitieren dann alle Beschäftigten, also auch die Mindestlohnbezieher, mehr nochaber alle Arbeitslosen, deren Beschäftigungschancen dann endlich spürbar steigen, und zwar in Jobs, die mehr als nur Hungerlöhne zu bieten haben.
Jobkiller Mindestlohn? Ausbeuter Kombilohn!
Es gibt jedoch noch ein anderes Argument gegen die Drohung oder Warnung, viele Jobs gingen bei Einführung eines Mindestlohns verloren, das man als das zentrale bezeichnen kann. Die Stückkosten eines Unternehmens – da gibt es nichts zu beschönigen – steigen bei steigendem Lohn (zum Beispiel einem menschenwürdigen Mindestlohn anstelle eines Hungerlohns), wenn die Produktivität nicht gleichzeitig zunimmt. Das bedeutet, wie gesagt, noch nicht automatisch, dass der Gewinn sinken muss, da die Einkommenswirkung der Lohnsteigerung auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit auch auf die Nachfrage des einzelnen Unternehmens positiv sein kann. Aber selbst wenn der Gewinn des Unternehmens durch die Einführung eines menschenwürdigen Mindestlohns sinkt: Durch eine Ausweichreaktion à la »jetzt putze ich mein Büro eben selbst« sinkt der Gewinn des Unternehmens auf jeden Fall noch stärker , weil dann der Effizienzvorteil der Arbeitsteilung weniger genutzt wird .
Das heißt, diese Ausweichreaktion ist ökonomisch betrachtet nicht rational und wird deshalb nicht oder jedenfalls nicht in großem Stil stattfinden, wie das immer wieder behauptet wird. 32 Dass ein menschenwürdiger Mindestlohn einem Unternehmer, der derzeit Leute beschäftigt und schlechter bezahlt als im Mindestlohnfall, nicht gefällt, ist nachvollziehbar. Denn er sieht sich schlechtergestellt, ohne sich sinnvoll dagegen wehren zu können. 33 Nur gibt es eben in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur die wohlverstandenen Interessen von Unternehmern, sondern auch die der vielen Geringverdiener. Wird deren Lage leidlich verbessert, sind darüber hinaus die Chancen groß, dass auch ein sich geschädigt fühlender Unternehmer langfristig profitiert, wenn schon nicht durch eine direkt für ihn spürbare Nachfragesteigerung, so doch durch den indirekten, aber deshalb keinesfallsvernachlässigbaren Effekt einer höheren Stabilität der Gesellschaft.
Ein konkretes Beispiel: Die Reinigungskraft, die das Geschäft eines erfolgreichen Goldschmieds statt für sechs Euro pro Stunde bei Einführung eines Mindestlohns für, sagen wir, zwölf Euro pro Stunde putzt, wird sich trotz dieser Gehaltsaufbesserung niemals ein Schmuckstück ihres Arbeitgebers leisten können. Auch alle anderen Mindestlohnempfänger werden das nicht können. Für den Goldschmied findet also kein positiver Nachfrageeffekt statt. Aber die Gefahr, dass eines Tages das Geschäft dieses Goldschmieds von einer Horde arbeitsloser, wütender und verzweifelter Menschen zerstört wird, dürfte erheblich sinken beziehungsweise die Ausgaben, die der Goldschmied zur Verhinderung einer solchen Zerstörung für die Bewachung seines Geschäfts ausgibt, dürften abnehmen oder ganz entfallen. Ist der Goldschmied also tatsächlich schlechtergestellt, wenn er zur Zahlung eines allgemeinen Mindestlohns gezwungen ist? Er trägt sozusagen dazu bei, dass das öffentliche Gut »sozialer Friede« produziert wird. Es ist höchst
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