Irrwege
heimlichen Blick auf den Assassinen
unterdrückte sie es. Auf einmal so selbstzufrieden auszusehen würde höchstens
Verdacht erregen.
Geduldig saß sie in dem Gefängnis, ohne zu
wissen, wieviel Zeit verging. Alfred kam und ging. Sie beobachtete ihn
mißtrauisch. Hugh Mordhand beobachtete sie mißtrauisch. Der Hund
beobachtete sie alle (mit Ausnahme von Alfred) mißtrauisch, und Alfred schlich
geduckt und unglücklich umher.
Todmüde legte Marit sich endlich zum Schlafen
hin. Sie war fast eingenickt, als sie beim Klang einer Stimme wieder
aufschreckte.
»Haplo, wie geht es dir?«
Hugh Mordhand stellte die Frage. Marit
veränderte unmerklich ihre Lage, um besser sehen zu können. Der Hund sprang
fröhlich bellend auf und beschnüffelte seinen Herrn von Kopf bis Fuß. Haplo
klopfte ihm den Hals, rieb ihm die Wangen. Der Schwanz des Tieres wedelte
heftig hin und her.
»Wie lange bin ich weggewesen?« fragte Haplo.
»Schwer zu sagen«, antwortete Mordhand angewidert,
»an einem Ort wie diesem. Du weißt nicht zufällig, wo es uns hin verschlagen
hat?«
Haplo musterte seine Umgebung, runzelte die
Stirn. »Es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann mich nicht erinnern…«
Sein Blick flog zu Marit, blieb an ihr haften.
Er ertappte sie dabei, wie sie ihn anstarrte – zu spät, um vorzutäuschen, daß
sie schlief. Sie wandte den Kopf ab und sah den Dolch, der zwischen ihnen auf
dem Boden lag.
»Keine Sorge«, brummte Hugh Mordhand, der Haplos
Blick gefolgt war. »Der Hund, Alfred und ich, wir haben sie nicht in deine Nähe
kommen lassen.«
Haplo stützte sich auf den Ellenbogen. Er fühlte
sich schwach, viel zu schwach für einen Patryn nach dem Heilungsschlaf. Schuld
war die Verletzung der Herzrune. Im Labyrinth wäre sie ihm zum Verhängnis
geworden.
»Sie hat mir das Leben gerettet«, sagte er.
Marit konnte seine Augen auf sich ruhen fühlen.
Verflucht, wenn es in dem Raum nur einen Platz gäbe, um sich zu verkleiden,
eine Möglichkeit zu fliehen. Fast hätte sie trotz allem ihr Glück an der Tür
probiert, aber wie blamabel, falls sie sie nicht zu öffnen vermochte. Mit
erzwungenem Gleichmut setzte sie sich auf und gab vor, ihren Stiefel zu
schnüren. Immerhin, was Haplo eben gesagt hatte, konnte sich zu ihrem Vorteil
auswirken.
Der Assassine knurrte. Er nahm die Pfeife aus
dem Mund und klopfte sie an der Wand aus. Die Asche rieselte zu Boden.
Haplo richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf
den Menschen. »Hast du Alfred gesagt?«
»Ja. Ich sagte Alfred. Er ist hier. Irgendwohin
verschwunden, um etwas zu essen auf zutreiben.« Er zeigte mit dem Daumen in
Richtung Tür.
Haplo betrachtete seine Umgebung. »Alfred. Jetzt
weiß ich wieder, woran dieser Ort mich erinnert – das Mausoleum. Auf Arianus.«
Marit lauschte aufmerksam. Die Worte hatten
keine Bedeutung für sie, trotzdem lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken,
Mausoleum. Es erinnerte sie an Abarrach – eine Welt als Mausoleum.
»Hat Alfred gesagt, wo wir hier sind?«
Hugh lächelte, ein furchtbares Lächeln, bei dem
seine Lippen schmal wurden und seine Augen dunkel. »Alfred redet nicht viel mit
mir. Tatsächlich übersieht er mich geflissentlich.«
»Wundert dich das?«
Haplo setzte sich auf und betrachtete seine Hand
– die Hand, die das verfluchte Sartanmesser aufgehoben hatte. Sie war schwarz
gewesen, verbrannt. Jetzt war nichts mehr davon zu sehen. Er richtete den Blick
auf Marit.
Sie wußte, was er dachte, als hätte er es laut
ausgesprochen. Daß sie immer noch so eng verbunden waren, ärgerte sie.
»Du witterst meine Gedanken wie ein Wolf einen
verwundeten Mann«, hatte er einmal im Scherz zu ihr gesagt.
Sie ihrerseits hatte ihm nie offenbart, wie gut
es ihm gelang, sie zu durchschauen. Anfangs hatte sie nach solcher Nähe
gehungert; ein Grund, weshalb sie so lange bei ihm geblieben war, länger als
je zuvor bei einem anderen Mann. Dann aber stellte sie fest, daß sie sich zu
sehr auf ihn zu verlassen begann, daß eine Abhängigkeit entstand. Zur selben
Zeit merkte sie auch, daß sie ein Kind von ihm erwartete. Sie beschloß zu
gehen.
Schlimm genug zu wissen, daß sie ihn an das Labyrinth
verlor; mit der Gewißheit zu leben, daß auch sein Kind ihr genommen würde…
Sei du diejenige, die verläßt. Sei nicht
diejenige, die verlassen wird.
Sie sah ihn an und wußte genau, was er dachte. Jemand
hat mich geheilt. Jemand hat den Kreis meines Seins geschlossen. Er
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