Irrwege
Öffnung geschoben.
Ein helles Licht fiel herein. Davor erschien die
Silhouette eines gebeugten, hageren Mannes, der uns besorgt musterte. Er
streckte die Hände nach Haplo aus. Ich hielt mich an ihm fest und wurde mit
durch das Tor gezogen. Mir war, als würde ich fallen, fallen, in bodenlose
Tiefen.«
Da war noch etwas gewesen, unwirklich, nur am
Rande wahrgenommen, deshalb hielt sie es nicht für angebracht, Xar gegenüber
davon zu sprechen. Nichts weiter als eine Stimme – eine gütige Stimme –, die
zu ihr sagte: »Nun, nun, schon gut. Ich habe ihn. Du kannst jetzt loslassen.«
Sie erinnerte sich daran, von einer schweren Last befreit, dankbar in den
Schlaf zu sinken.
»Was tut der Sartan mit euch?«
»Nichts, mein Gemahl. Er kommt und geht verstohlen,
wie ein Dieb. Er weigert sich, mich anzusehen oder das Wort an mich zu richten.
Seine einzige Sorge gilt Haplo. Und nein, Gemahl, ich habe ihn nicht angesprochen.
Diese Genugtuung werde ich ihm nicht geben.«
»Gut. Es ließe dich schwach erscheinen,
verletzlich. Wie ist dieser Alfred?«
»Eine Maus. Ein erschrecktes Kaninchen. Aber ich
nehme an, das ist nur seine Tarnung, mein Gemahl, um mich in Sicherheit zu
wiegen.«
»Unzweifelhaft hast du recht. Eins nimmt mich
jedoch wunder, Frau. Du hast auf Chelestra Haplos Leben gerettet. Du
hättest ihn sterben lassen können, scheint mir.«
»Ja, ich habe ihn gerettet. Du wolltest seinen
Leichnam haben.«
Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß die
Schlangen ihr Entsetzen einflößten. Daß es ausgesehen hatte, als würde sie auf
Chelestra den Tod finden, zusammen mit Haplo. Xar vertraute den
Drachenschlangen. Er war klüger als sie. Es stand ihr nicht zu, Fragen zu
stellen…
»Die Drachenschlangen würden ihn mir gebracht haben«,
sagte Xar. »Aber ich nehme an, das konntest du nicht wissen. Beschreibe dieses
Gefängnis.«
Sie gehorchte. Ein leerer Raum mit Mauern aus
glänzendem weißen Stein, Sartanrunen überall. »Und deshalb wirkt meine Magie
hier nicht«, meinte sie. »Ich bin überrascht, daß es uns noch möglich ist zu
kommunizieren, Gemahl.«
»Nur deshalb, weil ihre Magie intern wirkt. Sie
versucht nicht, in die Omniwelle einzugreifen, deshalb berührt Sartanmagie
nicht das Spektrum der Möglichkeiten. Wie du sagst, wird Haplo in der Lage
sein, die Sartanrunen zu entziffern. Er wird dir sagen können, wo ihr euch
befindet. Oder vielleicht verrät sein ›Freund‹ es ihm. Steht zu befürchten, daß
Haplo dich töten will? Weil du versucht hast, ihn zu töten?«
»Nein, Gemahl. Er wird mir nichts tun.«
Glücklicherweise übermittelte die Magie Xar nur
ihre Worte, nicht den Seufzer, der sie begleitete.
»Ausgezeichnet. Ich bin zu dem Schluß gekommen,
daß es vorteilhaft wäre, wenn du vorläufig bei ihm bleibst.«
»Glaubt Ihr wirklich, mein Gemahl? Ich könnte
fliehen und ein Schiff finden. Ich bin sicher, daß es mir gelingt…«
»Nein. Bleib bei Haplo. Erstatte mir Bericht
über alles, was er und sein Sartanfreund miteinander sprechen, über diesen
Raum, über jede der anderen Welten. Von nun an, Marit, berichte mir jedes Wort,
das Haplo sagt.«
»Ja, mein Gemahl.« Sie war also jetzt eine
Spionin. Der Gipfel der Demütigungen. »Aber was soll ich ihm sagen? Er wird
sich fragen, weshalb ich nicht mehr versuche, ihn zu töten…«
»Du hast mit ihm geschlafen. Du hast sein Kind
geboren. Er liebt dich immer noch. Muß ich deutlicher werden, Frau?«
Nein, das mußte er nicht. Und so endete ihre
Unterhaltung.
Marit krampfte sich der Magen zusammen. Sie
fühlte sich regelrecht krank. Wie konnte Xar so etwas von ihr verlangen? Daß
sie vortäuschen sollte, Haplo zu lieben! Sich ihm anbieten, sich an ihn
schmiegen und währenddessen sein Blut aussaugen wie ein Engel. Nein! Ein
derart heimtückischer Plan verstieß gegen die Ehre.
Kein Patryn würde sich darauf einlassen. Sie war
enttäuscht, bitter enttäuscht von Xar, daß er einen so abstoßenden…
Ihr Zorn, ihre Enttäuschung verflogen.
»Ich verstehe. Du glaubst, es wäre keine Verstellung«,
sagte sie leise zu dem fernen Xar. »Du glaubst, ich liebe ihn immer
noch! Sonst hättest du mir nie zugemutet, das zu tun.«
Es mußte einen Weg geben – einen anderen Weg –,
Haplo zu überzeugen, daß sie, wenn schon nicht unbedingt für ihn, so doch
wenigstens nicht mehr gegen ihn war.
Patryngesetz! Marit hob den Kopf, ein Lächeln
stahl sich auf ihr Gesicht, aber nach einem
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