Irrwege
anderen Lazars – sie innehalten ließ.
»Jonathon«, sagte Kleitus. »Ich hörte den Patrynfürsten
toben, über sein Unvermögen, die Toten zu erwecken. Mir kam gleich der
Gedanke, du könntest dahinterstecken, und ich hatte recht, wie es scheint.«
»… wie es scheint«, erfolgte das Echo.
Sie unterhielten sich auf Sartan, eine jedem
Patryn verhaßte Sprache, die ihr aber geläufig war. Sie wich in die Schatten
zurück, um vielleicht etwas zu erfahren, das ihrem Herrn von Nutzen sein
konnte.
Der Lazar namens Jonathon drehte sich um, ohne
Eile. »Ich könnte dir denselben Frieden geben, den Samah gefunden hat,
Kleitus.«
Der Dynast lachte, ein grauenhafter Laut, dem
das schmerzliche Wimmern des Echos eine düstere Tragik verlieh. »Ja, ich bin
sicher, du würdest mich gerne zu Staub zerfallen sehen.« Die leichenfahlen
Hände schlössen und öffneten sich, die Finger mit den langen Nägeln zuckten.
»Mich dem Vergessen überantworten.«
»Nicht Vergessen«, berichtigte Jonathon.
»Freiheit.« Seine sanfte Stimme und ihr leiser Nachhall vermischten sich mit
dem sehnsuchtsvollen Echo Kleitus’ zu einem wehmütigen, aber harmonischen
Zwieklang.
»Freiheit!« Kleitus knirschte mit den Zähnen.
»Ich gebe dir Freiheit!«
»… Freiheit!« heulte das Echo.
Der Dynast stürzte sich mit ausgestreckten
Krallenhänden auf Jonathon. Die beiden Untoten rangen miteinander, Jonathon
umklammerte Kleitus’ Handgelenke, um sich von dem Würgegriff zu befreien.
Fingernägel rissen Wunden, aus denen kein Blut floß. Marit sah bestürzt zu,
angewidert von dem makabren Schauspiel. Sie machte keine Anstalten
einzugreifen. Dies war nicht ihr Kampf.
Ein knackendes Geräusch. Kleitus’ Arm brach wie
ein dürrer Ast. Jonathon stieß seinen Angreifer von sich, der Dynast taumelte
rücklings gegen die Wand. Er hielt sich den verletzten Arm und funkelte den
anderen Lazar wütend und feindselig an.
»Du hast Fürst Xar von dem Siebenten Tor
erzählt!« sagte Jonathon. »Warum? Aus welchem Grund etwas beschleunigen, das
dir wie die Vernichtung deiner Existenz erscheinen muß?«
Kleitus murmelte Sartanrunen vor sich hin,
während er über seinen Arm strich. Der Knochen begann sich zu erneuern – auf
diese Weise bewahrten die Lazare ihre verrotteten Körper vor dem Zerfall. Mit
einem verschlagenen Blick zu Jonathon meinte der Untote: »Ich habe ihm nicht
verraten, wo er danach suchen muß.«
»Er wird es herausfinden.«
»Ja, er wird es herausfinden.« Der ehemalige
Herrscher von Abarrach kicherte. »Haplo wird es ihm zeigen. Haplo wird ihn
hinführen. Sie werden alle miteinander in der Kammer sein…«
»Auch du – der auf sie wartet«, sagte Jonathon.
»Ich fand meine ›Freiheit‹ dort.« Kleitus’
Oberlippe kräuselte sich hämisch. »Ich werde ihnen die gleiche Wohltat
erweisen. Und dir…«
Der Dynast wandte den Kopf und fixierte Marit
mit seinen flackernden Augen, die manchmal die Augen eines Toten waren und
manchmal die Augen eines Lebenden.
Marit überlief ein Frösteln, die Runen auf ihren
Armen und Händen schimmerten blau. Stumm machte sie sich Vorwürfe. Sie hatte
einen Laut von sich gegeben, nicht mehr als ein scharfer Atemzug, aber
ausreichend, sie zu verraten.
Nicht zu ändern. Sie trat aus dem Halbdunkel
heraus.
»Was tut ihr Lazare hier? Den Fürsten
bespitzeln? Fort mit euch!« Sie streckte gebieterisch den Arm aus. »Oder muß
ich erst Fürst Xar rufen, um euch in die Schranken zu weisen?«
Der Lazar Jonathon gehorchte augenblicklich und
entfernte sich mit fast lautlosen Schritten. Kleitus blieb. Er musterte sie
bösartig, als wollte er sich auf sie stürzen.
Marit begann in Gedanken einen Runenzauber zu weben.
Die Sigel auf ihrer Haut leuchteten.
Kleitus wich zurück, drehte sich um und
schlurfte davon, den mit dem Blut seines Volkes besudelten Gang hinunter.
Jeder lebendige Feind, und sei er noch so
furchteinflößend, war diesen wandelnden Toten vorzuziehen. Marit schüttelte
sich und hob die Hand, um anzuklopfen, als sie drinnen die unwillig erhobene
Stimme des Fürsten hörte.
»Und du hast mir die Nachricht vorenthalten! Ich
muß mir von einem einfältigen alten Sartan sagen lassen, was in meinem Reich
vorgeht!«
»Ich sehe ein, daß es falsch war zu schweigen.
Als Entschuldigung kann mir nur dienen, daß ich in guter Absicht handelte. Ihr
wart so in das Studium der Nekromantie vertieft – ich wollte Euch nicht mit
einer schlechten
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