Irrwege
weicherem Tonfall, »der Verrat eines meiner eigenen Gefolgsleute, besonders
Haplo…«
Er schüttelte gedankenvoll den Kopf. »Ich habe
gelesen, in der Verlorenen Welt, vor der Großen Teilung, waren wir Patryns ein
hartes und kaltherziges Volk, das keine Liebe kannte und seinen Stolz darein
setzte, niemals Zuneigung zu empfinden, nicht einmal untereinander. Lust war
gestattet, wurde ermutigt, denn Lust diente der Erhaltung der Art. Das
Labyrinth lehrte uns vieles. Ich frage mich, ob es uns nicht gelehrt hat zu
lieben.« Xar seufzte. »Haplos Verrat schmerzt mich tiefer als je eine Wunde,
die ich im Kampf mit den Kreaturen des Labyrinths davongetragen habe.«
»Ich kann nicht glauben, daß er Euch verraten
hat, Gebieter«, sagte Marit.
»Nein?« Xar musterte sie durchdringend. »Und weshalb
nicht? Ist es möglich, daß du ihn ebenfalls liebst?«
Marit errötete. »Das ist nicht der Grund. Ich
glaube nicht, daß irgendein Patryn so illoyal sein könnte.«
Er starrte sie an, als suchte er runter ihren
Worten nach einer tieferen Bedeutung. Sie erwiderte seinen Blick standhaft, und
er war zufrieden.
»Das kommt, weil du ein lauteres Herz hast,
Tochter. Deshalb ist Falschheit dir fremd.« Er überlegte und sagte dann:
»Sollte sich erweisen, daß Haplo tatsächlich Verrat geübt hat, nicht nur an
mir, sondern an unserem ganzen Volk, welche Strafe hätte er verdient?«
»Den Tod, mein Fürst«, antwortete Marit ruhig.
Xar lächelte und nickte. »Gut gesprochen,
Tochter. Sag mir«, sprach er weiter, ohne den eigenartig durchdringenden Blick
von ihr zu wenden, »hast du dich je runengebunden mit einem Mann oder einer
Frau, Marit?«
»Nein, Hoheit.« Sie war zuerst überrascht von
seiner Frage, dann glaubte sie zu begreifen, was er tatsächlich meinte. »Ihr
seid im Irrtum, wenn Ihr denkt, daß Haplo und ich…«
»Nein, nein, Tochter«, unterbrach Xar sie
beschwichtigend, »ich frage nicht deswegen – auch wenn es mich freut, es zu
hören. Ich frage aus einem anderen, selbstsüchtigeren Grund.«
Er trat an seinen Schreibtisch und hob eine
lange Nadel auf, die dort lag. Daneben stand ein Glas mit Tinte, von so tiefem
Blau, daß sie beinahe schwarz aussah. Über dieses Glas murmelte er einige Worte
aus der Runensprache der Patryn, dann schob er die Kapuze aus dem Gesicht,
strich das lange Haar zurück, und darunter kam auf seiner Stirn ein
verschlungenes blaues Runenzeichen zum Vorschein.
»Willst du den Runenbund mit mir schließen, Tochter?«
fragte er sanft.
Marit starrte ihn fassungslos an, dann fiel sie
auf die Knie. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, sie neigte den Kopf. »Mein
Fürst, ich bin dieser Ehre nicht würdig.«
»Doch, Tochter. Im höchsten Maße würdig.«
Sie hob das Gesicht zu ihm auf. »Dann – ja,
Gebieter, ich bin bereit und erachte es als die größte Freude in meinem Leben.«
Tief atmend griff sie nach dem Ausschnitt ihres weiten Hemdes, riß es auf und
entblößte die von Runenzeichen bedeckten Brüste.
Xar strich ihr das braune Haar aus der Stirn;
seine Hand glitt über ihren schmalen Nacken hinunter zu ihren Brüsten.
Sie schloß die Augen und erschauerte bei seiner
Berührung, mehr vor Ehrfurcht als vor Lust.
Xar bemerkte es, seine Altmännerhand hörte auf,
sie zu liebkosen. Sie hörte ihn seufzen. »Nur selten trauere ich meiner
verlorenen Jugend nach. Dies ist einer dieser Momente.«
Marit öffnete weit die Augen. Brennende Scham
erfüllte sie, daß er ihr Verhalten so mißverstand. »Gebieter, ich will gerne
Euer Bett wärmen…«
»Ja, Tochter, genau das würdest du tun, Tochter,
mein Bett wärmen«, sagte Xar trocken. »Ich furchte, ich könnte die Gunst
nicht erwidern. Das Feuer in meinen Lenden ist bereits vor langer Zeit
erstorben. Doch im Geist wollen wir eins sein, wenn nicht im Körper.«
Er setzte die Spitze der Nadel auf die glatte
Haut ihrer Stirn und stach hinein.
Marit zuckte zusammen, aber nicht vor Schmerz.
Vom Augenblick der Geburt an werden Patrynkinder an verschiedenen Stationen
ihres Lebens tätowiert. Sie gewöhnen sich nicht nur an den Schmerz, sondern
lernen auch, ihn stoisch zu ertragen. Worauf Marit reagierte, war der Strom der
Magie, der von ihrem Fürsten auf sie überfloß, stärker und mächtiger, je mehr
das Sigel ihres Bundes sich der Vollendung näherte – seine Herzrune,
verflochten mit der ihren.
Wieder und wieder tauchte er die Nadel in die
Tinte und stach sie in Marits Haut, mehr
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