Irrwege
entschied sich für ein
Kleidungsstück, das die Tätowierungen an ihrem Körper verdeckte; eins, in dem
sie wie eine Menschenfrau aussah. Nachdem sie es eingepackt hatte, zusammen mit
einigen ihrer bevorzugten Runenwaffen, brachte sie ihr Bündel an Bord eines
Patrynschiffs, das auf Abarrachs Lavameer vor Anker lag. Dann kehrte sie in den
Palast von Nekropolis zurück.
Sie ging durch Hure, die noch blutbespritzt
waren von der schrecklichen Nacht der Lebenden Toten – so nannten es die
Lazare, wenn sie von ihrem Triumph sprachen. Das Blut war Sartanblut,
Feindesblut, deshalb hatten die Patryn keine Anstrengungen unternommen, es von
Wänden und Boden zu entfernen. Zusammen mit den zerstörten Runen ihrer Magie
war es für sie ein Symbol der endgültigen Niederlage ihrer alten Widersacher.
Andere Patryn kamen Marit auf dem Weg zu den Gemächern
ihres Fürsten entgegen. Man wechselte keinen Gruß, vergeudete keine Zeit mit
müßigem Geplauder. Die Männer und Frauen, die Xar mit nach Abarrach gebracht
hatte, waren die stärksten und zähesten einer starken, zähen Rasse. Fast alle
gehörten zur Kaste der Läufer. Jeder hatte entweder aus eigener Kraft das
Letzte Tor erreicht oder doch den größten Teil der Strecke bewältigt. Die
meisten waren von Xar vordem sicheren Tod gerettet worden; es gab nur wenige
Patryn, die nicht ihrem Fürsten das Leben verdankten.
Marit war stolz darauf, sich Schulter an
Schulter mit ihrem Fürsten den Weg in die Freiheit erkämpft zu haben…
In Sichtweite des Letzten Tores war sie von
gigantischen Vögeln mit ledernen Schwingen und zähnestarrenden Schnäbeln
attackiert worden, die erst ein Opfer wehrlos zu machen pflegten, indem sie ihm
die Augen auspickten, um sich anschließend an dem warmen, lebendigen Fleisch
gütlich zu tun.
Marit nahm ebenfalls die Gestalt eines Vogels
an, sie verwandelte sich in einen riesigen Adler. Ihre Krallen zerrissen die
Haut der Flügel, im Sturzflug schmetterte sie viele der Angreifer vom Himmel.
Doch wie immer wurde die tückische Magie des
Labyrinths stärker im Angesicht der Niederlage. Die Zahl der kreischenden,
hackenden Vögel nahm zu. Sie blutete aus zahllosen Wunden, ihre Kräfte
schwanden, sie mußte auf den Boden hinunter und nahm wieder ihre gewöhnliche
Gestalt an. Es war ein aussichtsloser Kampf gegen die fliegenden Bestien, die
ihren Kopf umflatterten und mit den Schnäbeln nach ihren Augen stießen,
dennoch setzte sie sich tapfer zur Wehr.
Schließlich brach sie in die Knie, bereit
aufzugeben und zu sterben, da vernahm sie eine dröhnende Stimme, die zu ihr
sprach.
»Erhebe dich, Tochter! Erhebe dich und kämpfe.
Du bist nicht allein!«
Sie öffnete die Augen, über die sich schon der
Schleier des nahenden Todes gebreitet hatte, und erblickte ihren Herrn, den
Fürsten des Nexus.
Er kam wie ein Gott, mit einem Flammenschwert.
Er wehrte die Vögel ab, bis sie die Kraft fand aufzustehen. Er reichte ihr die
Hand, knorrig und runzlig, aber schön in ihren Augen, denn sie brachte ihr
nicht nur das Leben, sondern auch Hoffnung und frischen Mut. Gemeinsam
kämpften sie, bis das Labyrinth sich geschlagen gab. Die Vögel – so viele das
Gemetzel überlebt hatten – flatterten enttäuscht krächzend davon.
Marit sank entkräftet zu Boden. Der Fürst des
Nexus hob sie auf seine starken Arme und trug sie durch das Letzte Tor – in die
Freiheit.
»Mein Leben gehört Euch«, flüsterte sie, bevor
ihr die Sinne schwanden. »Auf immer und ewig…«
Er hatte gelächelt. Der Fürst hörte viele
solcher Schwüre, und er sah zu, daß sie eingelöst wurden. Marit war von ihm
auserwählt worden, mit nach Abarrach zu gehen, als eine von vielen Patryn in
seinem Gefolge, von denen jeder einzelne bereit war, sein Leben für den Mann zu
geben, der für ihn das seine aufs Spiel gesetzt hatte.
Vor dem Studierzimmer bemerkte Marit wenig
erfreut einen Lazar, der im Korridor herumlungerte. Erst dachte sie, es wäre
Kleitus, und wollte ihm befehlen, sich zu entfernen. Zugegeben, der Palast
hatte einst ihm gehört, doch als Lazar hatte er hier nichts mehr zu suchen.
Bei genauerem Hinsehen bemerkte sie mit Widerwillen, daß dieser Lazar ein
Fremder war, den sie nicht kannte. Was tat er hier? Wenn so etwas vorstellbar
gewesen wäre, hätte sie geglaubt, er lauschte, was hinter der geschlossenen Tür
gesprochen wurde.
Marit war im Begriff, ihn wegzuschicken, als
eine Stimme – die hohle Stimme eines
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