Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
beide ein eiskaltes Efes-Bier und sprechen wie Kumpels über alte Zeiten und die Borussia-Helden von damals: Günter Netzer, Jupp Heynckes, Berti Vogts, Winfried Schäfer. Ich fühle mich ausgesprochen wohl und darf sogar mithelfen, die Essensberge abzubauen. Fast jeder meiner neuen Freunde spricht Deutsch, kennt Köln oder Neuss, zumindest aber Bremerhaven. Ich frage Murat, der jetzt neben mir auf der Sonnenliege sitzt:
«Wieso sprecht ihr alle so ein gutes Deutsch, obwohl ihr in der Türkei seid? In Deutschland leben so viele Türken, die kein vernünftiges Deutsch sprechen. Das ist doch seltsam.»
Die Antwort kommt prompt. «In Deutschland leben aber auch Millionen Deutsche, die kein vernünftiges Deutsch sprechen, die Sachsen und die Bayern und die Schwaben. Die geben es sogar offen zu.» Murat kennt sich aus bei uns.
Der Abend wird lang, das kleine Herrengedeck macht die Runde: Efes mit Raki. Die Frauen tanzen um den Pool, verschleiert und unverschleiert. Zwischendurch springe ich ins Wasser, Inge und Gunar folgen mir. Die beiden sind Norweger und neben mir die einzigen Ausländer im Hotel. Sie haben für 90 Euro eine Glücksreise gebucht. Bei einer solchen Reise erfährt man erst am Flughafen, wohin es geht. Die beiden sind glücklich, dass es sie in die Türkei geführt hat, da sie hier 24 Stunden am Tag unter Alkoholeinfluss stehen können. Weil eine komplette Reise so viel kostet wie ein Bier zu Hause, beabsichtigen Inge und Gunar, alles dafür tun, dass sich das Preis-Leistungs-Verhältnis weiter für sie bessert.
Gegen fünf Uhr morgens endet die Pool-Party. Die Essensberge sind abgebaut, zurückgeblieben sind Unmengen leerer Tüten, zusammengeknülltes Alupapier, benutzte Papierservietten und -teller, Plastikbecher, Plastikbesteck. Die türkischen Männer rauchen die letzte Zigarette, die meisten Frauen schlafen auf den Liegen, die Kinder irgendwie dazwischen. Dann bläst Vater Aydin zum Aufbruch. Inge und Gunar wollen draußen nächtigen. Ich mache das Licht am Pool aus, weil Machmut, der Oberkellner, sich auch schon auf einer Liege ausgestreckt hat.
Um zehn Uhr morgens versuche ich, ein Frühstück zu bekommen. Es bleibt beim Versuch. Machmut schnarcht weiter am Pool, und die Norweger müssen es doch noch in ihr Zimmer geschafft haben, denn ich kann sie nirgends entdecken. Der Küchenchef sitzt vor der Rezeption in einem Sessel und schaut gebannt auf einen riesigen Fernseher. Kein Wunder. Auf dem Bildschirm sind zwei leichtbekleidete Türkinnen zu sehen, die mit irrem Geschrei einem anatolischen Bauern auf einem Esel hinterherrennen. Ich könnte jetzt auf meiner gebuchten Halbpension bestehen, aber bei wem?
So schlendere ich stattdessen in die Altstadt von Side, ignoriere die antiken Stätten mit dem imposanten Theater aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, in dem einst über 15 000 Menschen Platz fanden, und konzentriere mich auf das Suchen und Finden einer Kaffeestube. Das ist nicht so leicht. An der ersten Ecke muss ich einem sehr freundlichen Verkäufer klarmachen, dass ich keine fünfundzwanzig Paar Socken für fünf Euro benötige. An der zweiten Ecke muss ich einem noch freundlicheren Verkäufer klarmachen, dass ich auch keine vierundzwanzig Postkarten für einen Euro brauche. An der dritten Ecke muss ich einem aufdringlichen Verkäufer sehr klarmachen, dass ich für 95 Euro auf gar keinen Fall eine Rolex erwerben möchte, und an der vierten Ecke habe ich keine andere Wahl, als einem extrem aufdringlichen Verkäufer mit weißem Muscle Shirt, schwarzer Lederhose und liebevoll gearbeiteten schmalen Koteletten, die sich bis kurz vor die Mundwinkel ziehen, ins Ohr zu brüllen, dass ich auch nicht auf Louis-Vuitton-Taschen stehe, sondern maximal auf Kaffee. Das war das falsche Stichwort.
«Komm rein, mein Freund, ich geb dir in meinem Laden Kaffee. Und dann zeig ich dir ein paar schöne Taschen. Du kommst aus Köln, oder? Und du hast doch eine Frau? Sei ehrlich!» Woher weiß dieser Louis-Vuitton-Taschenverkäufer, dass ich aus der Nähe von Köln stamme? Ich bin beeindruckt, lasse mich in seinen Laden zerren, trinke einen herrlichen türkischen Kaffee, quatsche mit Mohammed, so heißt der Verkäufer, der auch mein neuer Freund wird, über Gott und die Welt – und kaufe keine Tasche. Nach einer halben Stunde verabschieden wir uns herzlich. Ich gratuliere ihm zu seiner hervorragenden Menschenkenntnis – schließlich hat er mir den Kölner an der Nasenspitze angesehen – und er mir zu
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