Isau, Ralf - Neschan 03
dröhnender Prankenhieb riss den Boden genau da auf, wo Yonathan eben noch gekauert hatte. Doch diesmal ging er sofort zum Gegenangriff über.
Der Stabträger schleuderte einen Blitz direkt an die Stelle, wo der Diener des dunklen Fürsten stand. Dieser schrie auf, nicht vor Schmerz, sondern im Triumph. Die blauen Flammen Haschevets schienen ihn nicht einmal angesengt zu haben. Doch das hatte Yonathan auch nicht beabsichtigt. Schon im nächsten Augenblick löste sich der Boden unter dem Schreckenswesen auf, das daraufhin bis zur Brust einsank. Ehe es noch reagieren konnte, war Yonathan auch schon bei ihm. Im Laufen riss er den Stab in die Höhe und ließ ihn mit fürchterlicher Gewalt auf das Haupt des Gegners niedersausen.
Zum Glück hatte Yonathan den blau flirrenden Schutzschild aufrechterhalten können, denn als Haschevets Knauf sich in den Hüter des Auges fraß, zerriss der Schwarze Tempel. Eine gewaltige Explosion schleuderte das Dach des Gebäudes eine viertel Meile hoch in die Luft. Tausende schwarzer Bruchstücke regneten kurz darauf über der ganzen Stadt herab. Auch die meisten Wände des unheiligen Bauwerkes barsten unter dem enormen Druck. Eine karminrote Feuersäule raste von der Erde in den Himmel empor. Ausläufer des Flammensturms krochen über den Tempelboden, leckten das Wasser des Bassins auf, steckten selbst die steinernen Mauerreste in Brand und versuchten Yonathan zu verzehren.
Die Bosheit des Auges war so groß gewesen, dass es selbst im Vergehen eine übermächtige Energie entfalten konnte. Im fernen Gedor stieß Bar-Hazzat einen langen, unmenschlichen Klagelaut in die Welt. Dies war der Moment, da das temánahische Heer in Cedanor die Flucht ergriff. Auch Abbadon wurde von dem unheimlichen Laut gepackt; Gimbar, Bithya, Yamina und Garmok erzitterten unter ihm.
Yonathan lag inzwischen wie tot auf dem von Rissen durchzogenen Boden des Tempels. Noch immer umgab ihn der Schirm des Stabes, aber er war kaum bei Besinnung. Die letzte Kraft, die ihm verblieb, floss in diesen schützenden Panzer. Dann fiel die Feuersäule des sterbenden Auges in sich zusammen; gerade rechtzeitig, denn auch Yonathans blau leuchtender Mantel begann zu flimmern, wurde schwächer und verschwand schließlich ganz. Wo eben ein Schlachtfeld übernatürlicher Gewalten gewesen war, herrschte nun unheimliche Stille.
Der siebte Richter hatte gesiegt. Dies allein genügte ihm und er nahm nicht mehr wahr, dass rote Flammen die Wände um ihn herum in Brand steckten. Während er sich zufrieden der Ohnmacht ergab, begann die Ruine des Schwarzen Tempels ihn mit Feuer zu umhüllen.
Nach einer Stunde hatte es Gimbar nicht mehr ausgehalten.
»Ich gehe ihm nach.«
»Aber Yonathan hat gesagt, dass du hier warten und auf uns aufpassen sollst«, versuchte Bithya ihn eher zaghaft zurückzuhalten. Wie die anderen machte auch sie sich große Sorgen um Yonathan.
»Wir brauchen keinen Aufpasser«, bemerkte Yamina. »Außerdem haben wir ja noch den Drachen.«
Alle blickten zu Garmok hinüber, der sich die heiße Wüstensonne auf die Schuppen brennen ließ und unüberhörbar schnarchte.
»Yamina hat eigentlich Recht«, sagte Bithya. »Geh nur, Gimbar. Aber sei vorsichtig! Wir passen inzwischen auf Garmok auf.«
Gimbars Nasenspitze zuckte. Er grinste und mit einem über die Schulter geworfenen »Bis bald!« verschwand er zwischen den Ruinen des alten Hafenviertels.
Der ehemalige Pirat hatte den Schwarzen Tempel erst ein einziges Mal gesehen und das auch nur aus der Ferne. Damals war er zusammen mit Yonathan, Yomi, Felin und Yehsir von den westlichen Höhen her auf die Stadt zugeritten. Doch dieser Blick hatte ihm genügt. Während seiner Ausbildung als Dieb hatte er gelernt sich im unübersichtlichen Gassenlabyrinth fremder Städte zurechtzufinden, denn in schlechten Zeiten mussten die Piraten nächtliche Streifzüge in die Küstensiedlungen des Golfs von Cedan unternehmen, um ihr Einkommen aufzubessern.
Zielsicher suchte er sich seinen Weg zwischen den versteinerten Bewohnern Abbadons hindurch. Der Tempel lag auf einer kleinen Anhöhe, er musste also nur der Steigung der Straßen folgen. Er war schon ein gutes Stück vorangekommen, als er plötzlich eine seltsame Unruhe verspürte. Gimbar blieb stehen. Die heiße Luft schien zu knistern, sich zu spannen wie ein Segel im Wind. Sein Herz schlug schneller. Er fühlte Angst, obwohl er wusste, dass dieses Gefühl nicht aus ihm selbst stammte. Natürlich! Das Auge war in der Nähe. Er
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