Isau, Ralf - Neschan 03
eigenen Mitteln. Um die Schultern hatte er sich Din-Mikkiths grünen Umhang geworfen. Sethur schüttelte den Kopf und hoffte das auffällige Kleidungsstück würde als Kriegstrophäe durchgehen. Unter dem grünen Cape war genug Platz, um den Stab Haschevet und zwei weitere Gegenstände zu verstecken, die Yonathan nun schon durch die halbe Welt mit sich getragen hatte.
Der Schwarze Turm, ein dunkler Schatten über den Dächern, konnte von jeder Stelle in der Stadt aus eingesehen werden.
Sethur hatte erzählt, dass Bar-Hazzats Warte so alt war wie die Welt. Alle temánahischen Herrscher hatten von dort aus regiert – die menschlichen und die weniger menschlichen. Im Laufe der Jahrtausende war die sechshundertsechsundsechzig Ellen hohe Befestigung durch zahlreiche Anbauten erweitert worden: Türmchen, Erker, scheinbar funktionslose Vorsprünge, die wie Schwalbennester überall an den schwarzen Mauern klebten und die ursprüngliche sechseckige Form des Bauwerks überdeckten. Bar-Hazzats Heim glich eher dem knorrigen Stamm eines uralten Baumes als der planvollen Konstruktion eines Baumeisters.
Als Yonathan mit Sethur auf den weiten Platz hinaustrat, in dessen Mitte der Turm stand, fühlte er die Beklemmung in seiner Brust. Er holte einmal tief Atem.
»Bar-Hazzat wird überrascht sein«, raunte Sethur, der wohl Yonathans Besorgnis spürte.
»Wie meinst du das?«
»Seit die Bath-Narga gesunken ist, konnte ich die Schale der Offenbarungen nicht mehr gebrauchen, um mit ihm in Kontakt zu treten. Er wird vermuten, dass du das Schiff, mich eingeschlossen, auf den Grund des Meeres geschickt hast. Wenn er mich jetzt sieht, dann wird er zumindest erstaunt sein.«
»Was heißt, wenn er dich sieht? Ich lasse nicht zu, dass du bis zu Bar-Hazzats Turmzimmer hinaufgehst.«
»Das wird sich zeigen, Yonathan. Still jetzt, die Wachen könnten uns hören.«
Die beiden näherten sich einem großen sechseckigen Tor, vor dem zwei Soldaten standen und die beiden Besucher argwöhnisch musterten.
»Sethur, der Erste Jäger, kommt, um Ihm Bericht zu erstatten«, sagte der Temánaher knapp. Seine Stimme hatte nun jede Sanftheit verloren. Sie klang unerbittlich, ungeduldig.
Jetzt, im Licht der Fackeln, die beiderseits des Haupteinlasses brannten, erkannten die Wachsoldaten sofort, wen sie vor sich hatten. »Und wer ist Euer Begleiter?«, wagte der eine noch zu fragen.
»Wer bist du, dass du Seiner rechten Hand solche Fragen stellst?«, zischte Sethur den Posten an, der daraufhin ein ganzes Stück kleiner wurde.
»Es ist Sein Befehl, niemanden in den Turm zu lassen, es sei denn, er besitzt die Erlaubnis dazu«, sprang der zweite Wachmann für seinen Kameraden in die Bresche.
Sethur funkelte den anderen für einen Moment an. Dann schien er sich etwas zu beruhigen und sagte, wesentlich umgänglicher: »Ihr tut nur Eure Pflicht. Der junge Mann hier ist ein Bote, der Ihm eine wichtige Nachricht zu überbringen hat. Ich selbst verbürge mich für ihn. Es geht um den siebten Richter. Mehr darf ich Euch nicht verraten.«
Die beiden Wachen schauten sich kurz an. Einer der beiden nickte schließlich und öffnete eine kleine, sechseckige Tür, die in dem großen Tor eingelassen war. Yonathan und Sethur schlüpften in den Schwarzen Turm.
Es zeigte sich schnell, dass das Gebäude innen ähnlich verwirrend konstruiert war wie außen. Nachdem Sethur seinen Begleiter in die Eingangshalle des Schwarzen Turmes geführt hatte, lenkte er seinen Schritt nach links. Yonathan war bemüht, sich seine Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Er lief durch einen Raum, der einer großen Höhle mit gewölbter Decke glich. Die Wände waren tiefschwarz. Fackeln, die versteckt angebracht waren, warfen ein indirektes Licht, das längst nicht ausreichte, um alle Schatten aufzuhellen. Überall an den Innenwänden befanden sich Öffnungen, nicht nur solche auf Bodenhöhe, die offenbar Zugänge darstellten, sondern auch andere, die wie zufällig über die Fläche verstreut schienen. Natürlich waren diese Öffnungen sechseckig – ohne Ausnahme.
»Wir nennen das hier die äußere Wabe«, flüsterte Sethur, während er Yonathan auf ein etwas größeres Loch zuführte. »Der Turm ist von unten nach oben in drei ›Waben‹ unterteilt: die äußere, die mittlere und die innere Wabe.«
»Dann sitzt Bar-Hazzat in der inneren.«
Sethur nickte und schritt durch das Sechseck.
Wie vermutet, erwies sich die Öffnung als Eingang zu einem langen Flur, oder besser einem Schlauch,
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