Isau, Ralf - Neschan 03
Jahren Darom-Maos dem Erdboden gleichmachte?‹« Sethur hatte Yomis trotzige Worte täuschend echt nachgeahmt und heute, nachdem sich die Umstände so dramatisch verändert hatten, konnten sie alle darüber schmunzeln. »Ich sagte Euch damals, dass ich keine Verantwortung trüge für die Schleifung von Darom-Maos, da ich zu jener Zeit zu jung gewesen sei für eine solche Militäraktion. Das war die Wahrheit. Und es gab keinen Anlass Euch mehr zu berichten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass unsere beiden Lebensläufe längst indirekt durch die Geschehnisse in Darom-Maos miteinander verbunden waren: Ihr müsst wissen, seit jeher verabscheue ich die schlechte Behandlung von Sklaven. Eines Tages nun, ich war noch ein Jüngling, befand ich mich zufällig auf dem Sklavenmarkt, gerade als die ›frische Ware‹ aus Darom-Maos eintraf. Ich bekam mit, dass ein Ehepaar – das waren Eure Eltern – zum Verkauf auseinander gerissen werden sollte. Ich schritt dagegen ein und erwarb den Mann und die Frau selbst – ich war der Schützling Bar-Hazzats, niemand durfte mir einen Wunsch abschlagen.«
»Seit dieser Zeit dienen wir Sethur«, fügte Yomis Vater hinzu. »Wir achten ihn, weil er uns Gutes getan hat. Natürlich blieb er in unseren Augen immer ein Temánaher. Alle Leute fürchteten ihn, schon als er so alt war wie Yonathan jetzt.«
»In meinem Eifer für Bar-Hazzat war ich oft unnachgiebig und hart. Ich habe einiges zu verantworten, was ich nie mehr werde ungeschehen machen können«, sagte Sethur schuldbewusst.
»Ihr habt Eure Fehler eingesehen«, tröstete Yonathan ihn. »Und bald werdet Ihr Gelegenheit haben Euren Sinneswandel auch unter Beweis zu stellen. Ich bin sicher, Yehwoh wird die Echtheit Eurer Reue anerkennen.«
Sethur blickte in Yonathans Gesicht, nichts verriet mehr den einst so unerbittlichen Krieger. »Meint Ihr wirklich, ich kann Vergebung finden?«
»Ich kann zwar Eure Schuld nicht ermessen, mein Freund, aber ich weiß, dass Yehwoh jedem ins Herz sehen kann. Er weiß, ob die Reue und Umkehr eines Menschen echt sind.«
Sethur senkte den Kopf und verharrte nachdenklich. Dann nickte er entschlossen und sagte: »So sei es. Ich will beweisen, dass ich bereut habe. Morgen früh ziehen wir beide gegen den Schwarzen Turm und wehe dem, der sich uns in den Weg stellt.«
Das Land Temánah war ein einziger schwül-heißer Dschungel und es erforderte wenig Phantasie sich vorzustellen, dass hier jede erdenkliche Boshaftigkeit ausgebrütet werden konnte. Im Herzen dieses Landes ragte der Schwarze Turm von Gedor auf, eine finstere Herausforderung für jeden Verteidiger des Lichts. Yonathan hatte den Kampf angenommen. Er war gekommen, um die letzte Strophe im Lied der Befreiung Neschans zu schreiben. Vielleicht konnte er Bar-Hazzat, den Herrn dieses monströsen Bauwerks, bezwingen, gerade weil diese Aufgabe für einen sterblichen Menschen so aussichtslos schien.
Gemeinsam mit Sethur schlich er durch die dunklen Straßen Gedors. Jetzt, kurz vor Sonnenaufgang, wirkte die Stadt kaum lebendiger als Abbadon.
Yonathan hatte in der vergangenen Nacht wenig geschlafen. Zu viel war ihm durch den Kopf gegangen: Die letzten vierundzwanzig Stunden hatten viel Aufregendes mit sich gebracht – Yomi fand seine Eltern wieder und Sethurs deutlicher Sinneswandel ließ ihn zu einem akzeptierten Mitglied ihrer kleinen, verschworenen Gemeinschaft werden. Und dann wusste Yonathan noch um das, was vor ihm lag – wenigstens ungefähr. All dies genügte, um ihm den Schlaf zu rauben.
Zu gerne hätte er noch mehr Wissen über die Schliche Bar-Hazzats gesammelt. Noch immer war ihm nicht völlig klar, wie er den dunklen Herrscher besiegen konnte. Benels Mahnung hatte seine Gedanken immerhin auf den richtigen Kurs gebracht, das spürte er.
Bodennebel kroch über den nackten Fels, der Sethurs Anwesen mit dem Schwarzen Turm verband. Der Weg stieg leicht an. Yonathan musste sich zu jedem Schritt zwingen. Ob Bar-Hazzat ihn wohl erwartete? Ob er ihn sehen konnte, wie er sich hier im vermeintlichen Schutz der Dunkelheit anpirschte?
Die Kleidung, mit der Sethur seinen jungen Gast ausstaffiert hatte, war ihm ungewohnt. Es handelte sich um eine temánahische Rüstung aus Sethurs Jugendtagen: ein plattenbesetztes Lederwams, eine schwarze, wollene Hose, weiche Stiefel aus der Haut der Sumpfechse und ein breiter Gürtel. Yonathan hatte sich aber geweigert die Beinschienen und das Schwert anzulegen. Dafür vervollständigte er seine Gewandung aus
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