Isau, Ralf - Neschan 03
Menschengezücht.«
Endlich zeigt er sein wahres Gesicht, dachte Yonathan. »Ihr hättet gewonnen, wenn Eure Macht meinen Willen gebrochen hätte. Ihr wolltet mich mit Eurem Hass anstecken. Aber ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen den Arm gegen Euch zu erheben. ›Mein ist die Rache, spricht Yehwoh.‹ Behaltet den Bannstein. – Aber nun ist die Reihe an mir Euch etwas zu geben. Hier«, Yonathan stach die Spitze Haschevets in den massiven Fels zu Bar-Hazzats Füßen, »nehmt den Stab. Ich benötige ihn nicht, um Euch zu besiegen.«
Bar-Hazzat sah Yonathan ungläubig an. Unruhig flackerte sein Blick zwischen dem goldenen Knauf und dem Gesicht des jungen Richters hin und her. Angst spiegelte sich darin.
Ein leises Knirschen erregte schließlich Yonathans Aufmerksamkeit. Auf dem Boden zeigten sich zahlreiche Sprünge, die von dem Schaft des Stabes ausgingen. Die Risse wuchsen nach allen Seiten und wurden breiter. Dann sackte Haschevet plötzlich nach unten und verschwand in einem sternförmigen Loch.
»Sehe ich Überraschung in deinem Gesicht?«, fragte Bar-Hazzat spöttisch.
»Ihr mögt Recht haben: vielleicht ein wenig«, gestand Yonathan mit einem leichten Lächeln. Aber eigentlich war es nun unerheblich, was mit dem Stab geschah.
Er griff mit beiden Händen unter seinen weiten Umhang, löste eine verborgene Schlaufe und brachte eine schneeweiße Rose zum Vorschein.
Das Grinsen auf Bar-Hazzats Gesicht gefror.
»Da Ihr schon meinen Stab habt, will ich Euch auch das hier nicht vorenthalten«, sagte Yonathan, und ehe sein Gegenüber reagieren konnte, hatte er ihm die Rose schon zugeworfen.
»Was ist das?«, rief Bar-Hazzat entsetzt. Die weißen Stacheln der Blume hatten sich in den Falten seines Gewandes verfangen und er schlug nun wie wild um sich, um sie wieder loszuwerden.
»Dies ist die Rose Aschereis, wie Ihr sehr wohl wisst. Sie ist ein Symbol der Liebe und des Lichts. Selbst wenn Ihr mich jetzt tötet, wird sie Euch immer daran erinnern, dass Ihr meine Liebe nicht auslöschen konntet. Die Finsternis wird so lange nicht über das Licht siegen, wie es einen Einzigen gibt, der sich ihr verweigert. Deshalb übergebe ich als Hüter von Aschereis Rosenstock Euch diese Blüte. Von nun an ist sie Euer, bis Yehwoh sein Gericht an Euch vollstreckt.«
Bar-Hazzat war zu keiner Erwiderung fähig. Er versuchte verzweifelt, die Rose, die an seinem Gewand festhakte, abzuschütteln. Als es ihm endlich gelungen war, schleuderte er einen gewaltigen rot gleißenden Blitz gegen die weiße Blüte. Aber der Donner verhallte, Licht und Staub verschwanden und zurück blieb ein großes Loch im Boden. Die Rose lag unberührt daneben.
Bar-Hazzat schien zu begreifen, dass Yonathan Recht hatte. Er war besiegt – durch die Hand Geschans, des siebten Richters.
Ein tiefes Grollen drang aus der gezackten Öffnung herauf, die der Stab Haschevet gerissen hatte. Sowohl Yonathan wie Bar-Hazzat blickten nach unten. Der Stabträger lächelte. Die Gestalt des dunklen Herrschers hingegen verlor ganz allmählich an Substanz, wurde durchsichtig, fadenscheinig – Nebel, den die Sonnenstrahlen des neuen Tages langsam auflösen. Dann begann der Schwarze Turm zu beben. Yonathan taumelte zurück, gerade rechtzeitig, um von den auseinander reißenden Spalten im Boden nicht verschlungen zu werden.
Bar-Hazzats Gesicht war zu einer angstverzerrten Grimasse geworden. Steine lösten sich aus der Decke. Der schwarze Tisch wurde umgeworfen und das letzte von Bar-Hazzats karminroten Augen rollte auf das nächste Loch im Boden zu und fiel in den Abgrund. Neue Risse taten sich in den Wänden auf und dann erschütterte ein übernatürlicher Donnerschlag das ganze schwarze Bauwerk.
Das Letzte, was Yonathan vernahm, war Bar-Hazzats gequälter Aufschrei: »Nein!« Nur dieses eine Wort. Ein lang gezogenes, hallendes, schnell schwächer werdendes Nein.
Nun wusste Yonathan, dass er gesiegt hatte. Mit dieser Gewissheit sah er, wie die schwarze Gestalt Bar-Hazzats zerriss: So wie ein schwarzer Farbfleck, der in einen Strudel gerät, verzerrten sich die Konturen des dunklen Herrschers, begannen sich immer schneller zu drehen, bis sie sich schließlich völlig auflösten. Zuletzt stürzte der Schwarze Turm wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Auch Yonathan fiel. Doch ehe er über das Ende seines Falls nachdenken konnte, hatte sich schon Schwärze über seinen Geist gelegt.
Im Osten erhob sich die Sonne. Die Luft war frisch. Yonathan setzte sich auf und
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