Isau, Ralf - Neschan 03
»Ich will es überhören, angesichts der Entbehrungen, die du erlitten hast. Zumal deine Warnung vor Geschan begründet ist. Um eine Stadt einzunehmen, genügt ein starkes Heer, aber um den Träger Haschevets zur Strecke zu bringen, braucht es einen listigen Jäger.«
»Meine Fähigkeiten sind nur begrenzt, mein Gebieter.«
»Spar dir dieses Gefasel. Wer eine Welt regieren will, braucht keine Schönrederei. Ich weiß, dass du in der Vergangenheit versagt hast. Aber ich weiß auch, dass du nicht allein die Schuld daran trägst. Wir wollten Geschan für uns gewinnen, dachten er sei zu jung, zu unerfahren, um unseren Angeboten zu widerstehen.«
Der Jäger zeigte sich verwundert. Nachsicht oder sogar das Eingeständnis einer Mitschuld waren bisher von Bar-Hazzat nicht zu erwarten gewesen.
»Wenn wir in dieser Stunde versagen, dann geht es uns beiden schlecht. Es hat also keinen Sinn Fehler zu vertuschen. Wir müssen aus ihnen lernen.«
»Und wie lautet diese Lehre?«
»Dass du Geschart töten musst, sobald du ihn gefunden hast. Nutze jede Gelegenheit, die sich dir dafür bietet. Wenn möglich, strecke ihn nieder, bevor er dich entdeckt. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Ich habe jedes Wort verstanden.«
»Gut. Dann sieh her.« Aus dem Überwurf Bar-Hazzats löste sich eine knöcherne Hand und kreiste kurz über der spiegelnden Oberfläche des Tisches. Sofort erschienen dünne, rot leuchtende Linien auf dem schwarzen Stein – eine Landkarte.
»Du weißt, wo sich meine übrigen Augen befinden«, sagte die dunkle Gestalt. Sie deutete auf die betreffenden Punkte und stellte einige Vermutungen über Geschans weiteres Vorgehen an. Der Jäger lauschte aufmerksam den Plänen für mögliche Hinterhalte, stellte weitere Fragen und wagte sogar, selbst einige Vorschläge zu machen. Schließlich schloss Bar-Hazzat: »Wenn es Geschan wider Erwarten gelingen sollte diese vier Augen zu vernichten, musst du ihn hier erwarten.« Ein roter Fleck leuchtete mitten im Meer auf. »Dort wirst du ihm auflauern und ihn töten, denn wenn es ihm gelingt dieses Auge zu vernichten, dann steht er bereits mit einem Fuß in Temánah.«
Bar-Hazzats Diener nickte bedeutungsvoll. »So höre denn meinen Schwur: Bevor mein Name aus der Welt getilgt wurde, hat man mich als einen großen Jäger gekannt. Doch die Zukunft wird zeigen, dass nie eine Beute größer sein wird als die, die ich auf dieser Jagd erlege.«
Für einen Moment glommen die roten Punkte unter der Kapuze heller auf. Der Jäger glaubte klamme Finger auf seinem Herzen zu spüren und erschauerte. Dann ertönte wieder die kalte, gefühllose Stimme. »Deine Entschlossenheit gefällt mir. Deswegen habe ich gerade dich für diese Aufgabe erwählt. Du sollst nicht ohne Ehre hinausziehen. Ich gebe dir ein Schiff, dessen Name dir neue Kraft geben soll. Es heißt Bath-Narga, Tochter der Narga. Und auch deinen Namen gebe ich dir heute zurück, auf dass die Welt wisse, wer den siebten Richter besiegt hat. Von nun an bist du wieder Sethur, der im Verborgenen Wirkende, der Jäger vom Turm.«
X.
Der Botschafter des Todes
Es war von Anfang an alles schief gelaufen, musste sich Felin eingestehen. Schon in Ganor hatte es angefangen. Nachdem er sich im Garten der Weisheit von Yonathan und Gimbar getrennt hatte, suchte er zuerst nach einer Gelegenheit, um sich nach Cedanor einzuschiffen. Die Pilgersaison setzte gerade erst ein und so fand er schnell ein Schiff, auf dem noch einige Plätze frei waren. Da der Segler erst am nächsten Morgen ablegen sollte, hatte er noch genügend Zeit das Gimbar gegebene Versprechen einzulösen.
Mit seinem großen Schwert auf dem Rücken bahnte er sich den Weg durch die Pilger und Kaufleute zu Baltans Kontor. Es lag dicht beim Hafen, so dass er Gimbars Haus, das sich unmittelbar an die Handelsniederlassung anschloss, bald erreicht hatte. Doch von nun an schien ihn das Glück verlassen zu haben.
Schon Schelima war nicht begeistert, als sie erfuhr, dass ihr Mann mit Yonathan zum anderen Ende der Welt aufgebrochen war. Natürlich habe sie damit gerechnet, ihren Gatten für einige Wochen nicht zu sehen, so wichtig wie Gimbar getan habe, nachdem er ihr die rot gewordene Seide gezeigt hätte. Aber Felins Bericht übertraf alle ihre Befürchtungen.
»Ich begleite dich nach Cedanor«, beschloss sie kurzerhand. Und was hätte Felin noch ins Feld führen können, um sie davon abzubringen? Ihre Erklärung war von weiblicher Logik geprägt, also unwiderlegbar.
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