Isau, Ralf - Neschan 03
»Wenn eines dieser scheußlichen Dinger, die er und Yonathan suchen, tatsächlich irgendwo in Cedanor versteckt ist, dann wird er geradewegs dorthin reisen. Du bist ein Freund, Felin, und sicher möchtest du mich nicht daran hindern meinen Mann noch ein letztes Mal zu sehen, bevor diese Welt untergeht. Ich werde dir nicht zur Last fallen. In Cedanor kann ich bei meinem Vater wohnen. Er wird sich freuen mich und die Enkelkinder wiederzusehen.«
»Die Kinder?« Felin war entsetzt.
»Ja, meinst du etwa, ich steige mit dir auf dieses Schiff und lasse Aischa und Schelibar allein hier? Konntest du etwa schon mit zwei Jahren deinen einjährigen Bruder versorgen?«
»Bomas ist acht Jahre älter als ich«, brummte Felin. »Außerdem hatten wir eine Amme.«
»Na also, dann ist ja alles klar.«
Am nächsten Morgen stand Felin an Deck der Raffina und schaute gedankenverloren auf die vorbeiziehenden Häuser Ganors. Neben ihm saß die kleine Aischa auf ihrem dick gewindelten Po, den Kopf weit im Nacken, und starrte ihn mit offenem Mund an. Er musste auf Gimbars Töchterchen aufpassen, während Schelima dem kleinen Schelibar die Brust gab.
Für die nächsten fünfzig Tage änderte sich wenig an dieser Aufgabenteilung. Wenn Felin einmal nicht an das dachte, was ihn in der Hauptstadt des Cedanischen Reiches erwartete, spielte er mit den Kindern oder unterhielt sich mit Schelima. Gimbars Familie sorgte dafür, dass er sogar gelegentlich lachen konnte, und einmal – er trug gerade den brüllenden Schelibar vor sich her wie einen jungen, um sich schnappenden Alligator – ertappte er sich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, selbst eine Hand voll solcher Schreihälse zu besitzen.
Als die Raffina in den inneren Hafen von Cedanor einlief, bemerkte Felin sogleich, dass etwas nicht stimmte. Von weitem hatte die Stadt – die Perle Baschans – wie eh und je ausgesehen: weiße, in der Sonne blitzende Häuser, die sich nach Süden hin bis zu den großen Klippen hinaufzogen, in der Mitte der gewaltige Palastberg. Aber jetzt, aus der Nähe…
Die Gesichter der Menschen waren grau. Obwohl das Treiben im Hafenviertel nach wie vor hektisch war, hörte man selten ein befreites Lachen. Die Leute wirkten mürrisch und bedrückt. Was konnte eine ganze Stadt derart verändert haben?
Den einzigen Lichtblick in dieser tristen Umgebung stellte die Weltwind dar. Der dickbäuchige Dreimaster von Kapitän Kaldek lag ein Stück voraus an Baltans Privatpier. Mit großer Wahrscheinlichkeit war also auch Yomi, Kaldeks Adoptivsohn, in der Stadt. Felin freute sich schon, den alten Weggefährten wiederzusehen.
Beim Schiff trafen sie auf einen Seemann, der ihnen verriet, dass Kaldek und sein Sohn sich bei ihrem Auftraggeber, Baltan, befänden. Die übrige Mannschaft sei auf Landgang. Es habe wenig Zweck auf die Rückkehr des Kapitäns zu warten, da er voraussichtlich über Nacht wegbleiben werde.
»Ein Grund mehr keine Zeit zu verlieren«, freute sich Schelima. »Lass uns ein paar Pferde besorgen und zum Haus meines Vaters hinaufreiten.«
Als Tochter Baltans fiel es Schelima nicht schwer für sich und ihre Kinder ein geeignetes Transportmittel zu finden. In den Hafenkontoren ihres Vaters standen genug Pferde und ihr unerwarteter Besuch zauberte ein Lächeln auf die Gesichter der dort arbeitenden Kaufleute.
Felin ritt auf seinem eigenen Rappen voran, der sich ganz ungestüm aufführte, weil er nach der langen Schiffsreise endlich wieder festen Boden unter den Hufen spürte. Es schien dem Tier großen Spaß zu bereiten die Leute von der Straße zu verscheuchen, um den beiden nachfolgenden Pferden einen Weg zu bahnen. Wenn Felin gerade nicht damit beschäftigt war, sein Pferd im Zaum zu halten, machte er ein grimmiges Gesicht; selbst im Viertel der Tagelöhner wagte niemand sich diesem Ehrfurcht gebietenden Krieger in den Weg zu stellen. Obwohl er sich äußerlich nur wenig verändert hatte und die schneeweiße Locke in seinem aschblonden Haar ein nur allzu verräterischer Anhaltspunkt war, erkannte in ihm kaum jemand den seit drei Jahren verschollenen Prinzen. Warum auch? Sein Vater hatte ihn ächten lassen. Er war eine Unperson. Prinz Felin existierte nicht mehr.
Baltans Anwesen auf den Klippen der Stadt empfing die kleine Reisegruppe mit offenen Toren. Doch die Wiedersehensfreude des weißhaarigen Kaufmannes, der ihnen im Garten hinter der hohen Pforte entgegeneilte, war nicht ungetrübt.
»Die Zeiten sind unsicher geworden, Schelima. Du hättest in
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